Eine Uhr – falsch, aber richtig

Kathedrale von Florenz
Kathedrale von Florenz(c) Wikipedia
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Der Dom von Florenz bekommt ein technisches Wunderwerk aus dem 15. Jahrhundert zurück. Es richtet sich nach dem Sonnenuntergang.

Rom. Da haben sie in Florenz mit beträchtlichem Aufwand die 580 Jahre alte Domuhr restauriert. Und nun das: Die Uhr geht falsch. Erstens läuft sie rückwärts, zweitens fehlt ein Zeiger und drittens stimmen die Stunden, die sie schlägt, nie mit der Zeitangabe überein.

Das riecht nach Pfusch, nach Ruinierung eines Kulturdenkmals. Trotzdem sind in Florenz alle zufrieden. Denn diese Uhr stellt eine Besonderheit dar: Wenn sie falsch geht, geht sie richtig. Genauso, wie sie 1433 als technisches Wunderwerk ausgeklügelt war und wie sie heute – als einer der ältesten noch funktionierenden Mechanismen dieser Art – wieder zum Laufen kommt.

Das monumentale Florentiner Zifferblatt mit einem Durchmesser von sieben Metern ist im Gegensatz zu heutigen Uhren in 24 Stundensektoren eingeteilt. Über sie kreist linksherum und in einer Runde pro Tag tatsächlich nur ein Zeiger. Und was er anzeigt, sieht man außer in Florenz nur noch auf dem Petersdom in Rom und sonst praktisch nirgends mehr: die italienische Tageseinteilung, wie sie bis Mitte des 18. Jahrhunderts üblich war, nicht nur in Italien, sondern auch in Böhmen, Schlesien und Teilen Polens.

Bei dieser „ora italica“ („Ganzer Zeiger“) endet der Tag nicht um Mitternacht, sondern bei Sonnenuntergang, wenn die Arbeit aus Lichtmangel zwangsläufig aufhören musste, die Stadttore schlossen und in den Kirchen das „Ave Maria“ erklang. Dieser Punkt wurde dann als 24 Uhr – und zugleich null Uhr – definiert.

Vorteil: Wer immer eine solche Uhr zu lesen versteht, weiß, wie lange es noch hell sein wird. Nachteil: Der Zeitpunkt des Sonnenuntergangs verschiebt sich im Lauf des Jahres erheblich, die Uhr muss ständig nachjustiert werden. In Florenz machen sie es alle zwei Wochen um jeweils 15 Minuten.

Johann Wolfgang von Goethe fand auf seiner „Italienischen Reise” solche Zeiteinteilung „innigst mit diesem Volk verwebt“. Die Glocken auf dem Florentiner Campanile übrigens läuten noch heute nach dem alten Rhythmus – jedenfalls zum Tagesausklang: bei Sonnenuntergang sowie eine Stunde davor und eine danach. (pk)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2014)

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