Mittelmeer: Hunderte Flüchtlinge in Seenot

Migrants are seen aboard a navy ship before being disembarked in the Sicilian harbour of Augusta
Migrants are seen aboard a navy ship before being disembarked in the Sicilian harbour of Augusta(c) REUTERS (ANTONIO PARRINELLO)
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US-Schiffe unterstützen Maltas und Italiens Marine und retten zahlreiche Flüchtlinge. In Sizilien sei die Lage außer Kontrolle, klagen die Bürgermeister. Die Kritik an der EU wächst.

Rom/Valetta. Europa habe Italien und Malta im Stich gelassen: Angesichts der massiven Flüchtlingswelle, mit der sich Italien und Malta seit mehreren Tagen konfrontiert sehen, schießt der maltesische Premier, Joseph Muscat, scharf in Richtung Brüssel. Tatsächlich war es am Wochenende die US-Marine, die Italien und Malta zu Hilfe eilte, um 25 Flüchtlingsboote aus Seenot zu retten. Die geborgenen Flüchtlinge sind mehrheitlich Afghanen, Syrer, Algerier und Somalier.

Allein am Sonntag retteten die maltesischen Behörden rund 130 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, darunter elf Frauen. Das Schlauchboot der Migranten war kurz vor dem Sinken, als sie von der Marine entdeckt wurden. Die von der US-Marine geretteten Flüchtlinge wurden Malta übergeben.

Unterdessen sind seit Donnerstag 5200 Bootsflüchtlinge in Sizilien aufgenommen worden, seit Jahresbeginn haben 50.000 Menschen Süditalien erreicht. Allein am Samstag trafen 2300 Flüchtlinge auf der Insel ein, darunter viele Minderjährige ohne Begleitung. Der Protest der sizilianischen Bevölkerung wächst. In den 134 Flüchtlingslagern der Insel sind bereits 12.800 Personen untergebracht. „Die Lage ist außer Kontrolle, wir stehen vor einem unmenschlichen Drama“, betonte der Bürgermeister der sizilianischen Hafenstadt Porto Empedocle, Lillo Firetto. Die sizilianischen Stadtregierungen machen Druck auf Rom und auf Brüssel.

Tausende untergetaucht

„Sizilien steht vor dem Zusammenbruch. Die Regierung in Rom sollte den Notstand erklären. Ganz Italien muss bei der Bewältigung dieser Situation helfen“, betonte der Bürgermeister von Catania, Enzo Bianco. Sein Kollege aus Palermo, Leoluca Orlando, klagte, dass Europa angesichts des Dramas, das sich in den Gewässern vor Sizilien abspiele, unsensibel bleibe.

Nach ihrem Eintreffen auf Sizilien wandern die Migranten durch Städte und Dörfer, in denen sie aufgenommen wurden, auf der Suche nach Wegen, um die Insel zu verlassen. Die meisten von ihnen wollen Angehörige in Norditalien, Deutschland oder Frankreich erreichen. Etwa 30.000 Migranten, die seit Jahresbeginn in Italien gelandet sind, sind bereits untergetaucht, berichteten italienische Medien.

Die sizilianischen Behörden helfen, wo sie nur können, befürchten jedoch zugleich Auswirkungen der Migrantenwelle auf die öffentliche Gesundheit. Bei einigen Flüchtlingen wurde Krätze diagnostiziert, ein Somalier sei an Malaria erkrankt, berichteten italienische Medien. Um die öffentliche Sicherheit bangen vor allem die Bewohner Agrigents. Hunderte Auswanderer halten sich auf den Straßen der Innenstadt auf, schlafen auf Bänken und versuchen mit allen Mitteln das italienische Festland zu erreichen.

Die Regierung von Ministerpräsident Matteo Renzi will die Flüchtlingsfrage zum prioritären Thema des Halbjahres seines EU-Vorsitzes ab Juli machen. „Die Flüchtlingsboote, die täglich Sizilien erreichen, sind eine Schande für Italien und Europa“, klagte Justizminister Andrea Orlando.

Neun Millionen Euro

Die Mission Mare Nostrum hat im Oktober nach zwei Schiffsunglücken vor Lampedusa mit mehr als 360 Toten begonnen. Der Einsatz kostet den italienischen Staat neun Millionen Euro pro Monat. Die Marine fordert zusätzliche Finanzierungen für Treibstoff, die Erneuerung der Flotte und Ersatzteile für die Schiffe. Außerdem drängt Italien die EU auf mehr Hilfe im Umgang mit dem Flüchtlingsproblem. Laut dem italienischen Innenministerium warten 800.000 Menschen in Libyen auf die Abfahrt nach Europa.

Die italienischen Justizbehörden haben inzwischen den Kampf gegen Schlepperei verschärft. Die Staatsanwaltschaft der sizilianischen Stadt Syrakus nahm vier Tunesier fest. Sie sollen über 1200 Migranten nach Sizilien geschleust haben. (APA)

AUF EINEN BLICK

Flucht. Seit mehreren Tagen sehen sich Italien und Malta mit einer neuerlichen Flüchtlingswelle konfrontiert. Allein am Samstag sind 2300 Flüchtlinge in Sizilien angekommen, darunter viele Minderjährige ohne Begleitung. Am Wochenende half die US-Marine Italien und Malta bei der Rettung von Bootsflüchtlingen. Die betroffenen Länder werfen der EU Untätigkeit vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2014)

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