Urwald: Erdöl vertreibt unbekannte Völker

BRAZIL KILLING OF MINERS AT THE AMAZON
BRAZIL KILLING OF MINERS AT THE AMAZON(c) EPA
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Weltweit gibt es rund 100 Volksgruppen, die weitgehend isoliert von der Außenwelt leben. Den meisten ist die Existenz der Zivilisation bekannt – sie wollen nur keinen Kontakt zu ihr.

Quito/Wien. Die Fronten sind eindeutig: Auf der einen Seiten stehen Bauern, Holzfäller, vor allem aber Firmen, die nach Öl bohren wollen. Auf der anderen Seite das Volk der Taromenane, die in diesem geschützten Biosphärenreservat im ecuadorianischen Yasuni-Nationalpark leben. Über das Leben und den Alltag der Taromenane ist kaum etwas bekannt – die einzigen Informationen liefern Luftaufnahmen –, über ihren Lebensraum hingegen viel: Allein am Rand des Reservats werden über 460 Mio. Barrel Öl vermutet. Der Verkauf würde Milliarden einbringen.

Nun bereitet Quito die Ölförderung vor, ab 2016 soll mit den Bohrungen begonnen werden – was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Lebensraum der Taromenane und anderer Stämme in Gefahr ist, wie Aktivisten kritisieren. Die Taromenane leben in kleineren Familiengruppen mit 20 bis 50 Mitgliedern. Sie jagen und fischen, ihre Häuser bestehen aus natürlichen Materialien. Offenbar sind die Taromenane mit der Waorani-Volksgruppe – denen sie eigentlich auch angehören – verfeindet. Die letzten bekannt gewordenen Begegnungen von Mitgliedern beider Gruppen endeten blutig. Im vergangenen Jahr wurde ein totes Waorani-Paar entdeckt, worauf sich die Waorani mit Angriffen gerächt haben. Angeblich wurden auch Taromenane-Kinder entführt. Die Waorani wurden, im Gegensatz zu den Taromenanen, ab den 1950er-Jahren von einer christlichen, sprachwissenschaftlichen Organisation missioniert und leben mehrheitlich in Siedlungen mit zivilisatorischem Anschluss. Gerade dieser Eingriff von außen habe die Stämme erst zu Feinden gemacht, sagen Aktivisten.

Fischen, jagen, ernten

Ursprünglich wollte Ecuadors Regierung das Biosphärenreservat gar nicht antasten. Vergangenes Jahr hat Präsident Rafael Correa den Schutzplan allerdings verworfen, weil die Entschädigungszahlungen von den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen entweder ausblieben oder zu gering waren. Rund um das geschützte Reservat wird bereits seit geraumer Zeit gebohrt. Immer wieder kommt es in Ecuador zu Protesten, bei denen der Schutz der unbekannten Völker gefordert wird.

Wobei: Ganz unbekannt ist kaum ein Stamm auf der Welt. Rund 100 Völker leben weitgehend isoliert, was nicht heißt, dass sie keinen Kontakt zu anderen Menschen haben bzw. von der Außenwelt keine Kenntnisse besitzen (so lebt ein unkontaktiertes Volk nur 100 Kilometer vom peruanischen Touristenmagnet Machu Picchu entfernt). Laut der NGO Survival International bedeutet unkontaktiert eher, dass die Völker auf Eindringlinge oder andere Stämme feindselig reagieren und keine Kontaktaufnahme wünschen.

Von Luftaufnahmen ist bekannt, dass viele Urwaldvölker jagen, fischen und Gärten anlegen, etwa für Bananen, Papayas und Maniok. Die Flugzeuge, die für Aufnahmen und zur Kontrolle, ob ihre Siedlung noch intakt ist, über ihre Hütten kreisen, sind den Stämmen bereits bekannt. Wenn sie Speere werfen, dann zeigen sie eben, dass sie keine Eindringlinge wünschen.

Aktivisten wehren sich gegen die verbreitete Annahme, dass die indigenen Völker „wie in der Steinzeit“ leben. Es gibt Indizien für Handel zwischen den Stämmen, und manche Völker bauen sich aus den Hinterlassenschaften der Zivilisation – etwa kaputte Schiffe oder Flugzeuge – eigene Gegenstände.

Schutz vor Tsunami

Das wohl am meisten isolierte Volk lebt laut Survival International auf der North Sentinel Island im Indischen Ozean, südlich von Burma. Die Sentinelesen sind tatsächlich ein Rätsel, es gibt sehr wenige Aufnahmen. Als vor zehn Jahren ein Tsunami die Region erschütterte, wurde bereits ein Massensterben befürchtet. Spätere Aufnahmen zeigen, dass das Volk überlebt hat. Es wusste sich offenbar gut vor der Naturkatastrophe zu schützen.

Die Sentinelesen dürften direkt von den ersten Siedlern aus Afrika abstammen, ihre Geschichte reicht 55.000 Jahre zurück. Tausende Jahre hatten sie, auch aufgrund der Insellage, kaum bis keinen Kontakt zur Außenwelt. (duö/APA/dpa)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2014)

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