In Neapel brennen Roma-Baracken

(c) AP (Salvatore Laporta)
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Scharfmacher aus der Berlusconi-Regierung schüren den Hass auf Immigranten. Aufgebrachte Neapolitaner warfen Molotow-Cocktails auf Roma-Siedlungen.

Neapel. „Zigeuner klauen Kinder.“ Das ist ein unausrottbares Vorurteil in Italien. Deshalb filzt, wenn Kinder verschwinden, die Polzei meist als erstes die Roma-Camps in der Gegend. Konkrete Entführungen konnte den „nomadi“ keiner nachweisen – jedenfalls bis zum vergangenen Samstag nicht.

Da drang eine 16-jährige Romni offenbar in eine Wohnung in Neapel ein und versuchte, ein Baby zu rauben. Die Mutter verhinderte die Tat, die junge Frau wurde verhaftet. Danach explodierte die Gewalt. Anwohner zogen mit Prügeln und Stangen zu den Slum-Siedlungen der Roma, rissen die Zäune nieder, schleuderten Molotow-Cocktails auf die Baracken, umzingelten die Bewohner, bewarfen sie mit Steinen und schrieen: „Haut ab, ihr stinkenden Zigeuner!“

Ein Rumäne, den eine Gruppe von 20 Neapolitanern für einen Rom hielt, wurde auf offener Straße niedergestochen. Brände in den Camps häuften sich. Italiener riefen der Feuerwehr zu: „Löscht ihr nur! Wir zünden danach wieder an!“ In der Nacht auf Donnerstag führte die Polizei auch in einem Roma-Lager in der Hauptstadt eine Razzia durch und nahm 50 Ausländer ohne Papiere fest.

Der Unmut über die Roma nimmt stetig zu, genauso wie die Zahl der „nomadi“: Seit dem EU-Beitritt Rumäniens reisen immer mehr mit dem Linienbus nach Italien und lassen sich nieder, wo gerade Platz ist. Einzelne Verbrechen – wie der Mord an einer Römerin – haben dazu geführt, dass „Roma“ und „Kriminalität“ in eins gesetzt werden.

Eine Zunahme von Diebstählen und Einbrüchen ist freilich mehr gefühlt als statistisch verifizierbar. Dennoch hat das Thema „Sicherheit“ in der Kampagne vor den Parlamentswahlen eine zentrale Rolle gespielt; der rechtskonservative Gianni Alemanno jagte den Linken den römischen Bürgermeisterposten auch mit dem Versprechen ab, die bis zu 20.000 Roma aus ihren illegalen Camps zu vertreiben. Einige weitere rechte Politiker um Silvio Berlusconi versprachen die Massenausweisung der Roma nach Rumänien.

Die Turiner Zeitung „La Stampa“ vermutet einen Zusammenhang zwischen dem Machtwechsel und der Zunahme der Ausländerfeindlichkeit. Der Politikwissenschaftler Luca Ricolfi schiebt die Schuld eher einer untätigen Verwaltung zu: „Die Bürger sind verzweifelt, weil sich die Kriminalität vor ihren Augen abspielt. Sie wissen, wo mit Drogen gehandelt und Schwarzarbeiter angeworben werden, wo man ausgeraubt wird und nicht ohne Gefahr herumlaufen kann. Und sie sehen, dass der Staat nicht eingreift“.

Die Kirche schlägt Alarm

Die Regierung Berlusconi will nun ein „Sicherheitspaket“ auf den Weg bringen, das sich fast ausschließlich gegen „kriminelle Ausländer“ richtet. Der neue Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord verlieh der Mailänder Bürgermeisterin Letizia Moratti Sonderkompetenzen, um mit den Roma zu Rande zu kommen. Davor schon hatte der Stadtrat die Zwangsräumung eines großen Roma-Lagers beschlossen.

Während sich Politik und Volkszorn gegenseitig hochschaukeln, schlägt die Kirche Alarm. Der Mailänder Erzbischof wirft den Stadtpolitikern „unmenschliches Verhalten“ vor. Kardinal Renato Martino warnt vor einer „Kriminalisierung der Rumänen“.

LEXIKON. Roma in Italien

Etwa 140.000 Angehörige von Volksgruppen, die meist als „Roma“ bezeichnet werden, leben in Italien. Sie siedeln vor allem außerhalb großer Städte wie Rom, Neapel, Mailand und Bologna. Von weiten Teilen der italienischen Bevölkerung werden sie zunehmend ungern gesehen und für Kriminalität verantwortlich gemacht.
Rund 70 Prozent der Roma
leben seit langem in Italien, gut die Hälfte hat die dortige Staatsbürgerschaft. 30 Prozent sind in den vergangenen Jahren zugewandert, meist aus Rumänien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2008)

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