Unruhen in Ferguson: Der militarisierte Rassenkrach

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Polizisten in Kampfanzügen, Haftstrafen fürs Schnellfahren, das Schikanieren armer Schwarzer: Jahrzehnte falscher Politik machen eine Kleinstadt zum Symbol für Amerikas soziale Probleme.

Washington. Nach dem Tränengas, den Gummigeschossen, Blendgranaten und Panzerwagen nun die Truppen der Nationalgarde des Bundesstaats Missouri: Die Unruhen in der Kleinstadt Ferguson nahe St. Louis nahmen an ihrem neunten Tag eine weitere Wendung ins Kriegerische. Missouris demokratischer Gouverneur, Jay Nixon, befahl den Einsatz der Soldaten, nachdem sich die Lage in der rund 21.000 Einwohner zählenden Gemeinde erneut verschärft hatte. Knapp vor Beginn der seit Tagen geltenden polizeilichen Ausgangssperre hatten bisher unbekannte Personen mit scharfer Munition auf Polizisten geschossen, Benzinbomben geworfen und Geschäftslokale geplündert.

Die militärisch anmutende Reaktion der Polizei von Ferguson auf Proteste nach der Erschießung des unbewaffneten schwarzen 18-jährigen Michael Brown durch einen weißen Polizeibeamten am 9. August sorgt weltweit für Erstaunen. Auch in den USA war es den meisten Menschen nicht bewusst, dass ihre örtlichen Polizeibehörden seit dem Jahr 1990 Anspruch auf kostenlose militärische Ausrüstung aus Beständen der amerikanischen Streitkräfte haben.

Crack-Kokain und die Hysterie nach 9/11

Was damals, auf dem Höhepunkt der Crack-Kokain-Krise als Programm zur Erhöhung der Sicherheit der Polizisten im Kampf gegen zusehends besser bewaffnete und brutale Rauschgiftbanden angefangen hat, ist seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schrittweise in eine polizeiliche Aufrüstung entglitten, die eher für den Kriegseinsatz im Nahen Osten als für die Kontrolle aufgebrachter Menschenmengen geeignet ist.

Die Polizei von Ferguson zum Beispiel hat aus überschüssigen Beständen der Streitkräfte zwei Humvee-Geländewagen erhalten. Dazu kommt ein gepanzerter Mannschaftswagen. Der Verwaltungsbezirk St. Louis County hat Nachtsichtgeräte, Sturmgewehre und einen Roboter zur Entschärfung von Bomben bekommen. Das Justizministerium wiederum bezahlte Tränengas, Gummigeschosse und andere Mittel.

Das Kriegsgerät in den Händen der Beamten verschärft einen tiefen Rassenkonflikt. Denn Polizei, Stadtregierung und alle Posten in den einflussreichen Bünden von Handwerkern und Unternehmern sind weiß. Ferguson jedoch hat binnen nur zweier Jahrzehnte seine gesellschaftliche Zusammensetzung radikal gewechselt: 1990 waren 74 Prozent der Einwohner weiß, 25 Prozent schwarz. 2010 waren 67 Prozent der 21.000 Einwohner schwarz und 29 Prozent weiß.

Schwarze: 93 Prozent der Verhafteten

Ferguson ist eine jener verarmten, mehrheitlich schwarzen oder hispanischen Umlandgemeinden, die man im Speckgürtel aller US-Großstädte findet und die einem fatalen Zusammenspiel der Stadtflucht weißer Einwohner nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiederbelebung historischer Stadtkerne entspringen. Zuerst verließen die reicheren Weißen die Städte, während arme Schwarze aus den damals noch zutiefst rassistischen Südstaaten nachzogen. Den Gemeinden fehlten daraufhin die Steuereinnahmen zur Erhaltung der kommunalen Infrastruktur; sie verkamen vielerorts zu Slums. In den 1990er-Jahren begannen gezielte Programme zur Wiederbelebung der Stadtkerne. Die Mieten stiegen, die verarmten Schwarzen zogen in Vororte wie Ferguson.

Orte, in denen sich die knappen Gemeindebudgets zu einem wachsenden Teil aus Gebühren für Verkehrsstrafen und ähnliche Verwaltungsübertretungen speisen: Fergusons generiert laut Studie der Organisation Better Together ein Viertel seines Haushalts aus Strafmandaten.
Hier schließt sich der Teufelskreis: Wer einen Strafzettel nicht zahlt, landet schnell in den Klauen privater Inkassobüros, die für die Kommunen Strafen eintreiben und saftige Gebühren verlangen. Wer wiederholt säumig ist, landet rasch im Gefängnis. In Ferguson sind das fast ausschließlich Afroamerikaner: 93 Prozent der im Jahr 2013 hier Verhafteten waren schwarz.

Lexikon

Die Nationalgarde der USA wurde 1903 gegründet. Sie gehört zur militärischen Reserve der US-Streitkräfte, der Dienst in ihr ist freiwillig. Jeder Bundesstaat hat eine Garde, der Gouverneur kann einen Einsatz anordnen, etwa bei Naturkatastrophen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2014)

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