Kriminalität: Die Schweiz als Mafia-Unterschlupf

(c) FABRY Clemens
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Das jüngste Auffliegen einer 'Ndrangheta-Zelle im Thurgau kann nicht überraschend sein: Italien meldet der Schweiz seit Langem Ableger der Clans – und die schätzen das Land sehr.

Die öffentliche Erregung in der Schweiz war groß, nachdem Ende August die Polizei in Frauenfeld im Nordschweizer Kanton Thurgau etwa 20 Mitglieder der neapolitanischen Mafia, der 'Ndrangheta, bei einem Treffen in einem Wirtshaus observiert hatte. Dabei sprachen sie über Geschäftsmöglichkeiten von Erpressung bis Drogenhandel. Die Männer wohnen teils seit Jahrzehnten in dem Kanton im Bodenseeraum, viele von ihnen wurden seither in der Schweiz und Italien verhaftet, einige tauchten unter.

Das Erstaunlichste am Auffliegen der Thurgauer 'Ndrangheta-Zelle ist indes das Erstaunen darüber: Denn der Umstand, dass italienische Verbrecherclans längst in der Schweiz sesshaft sind, ist seit Jahren bekannt. Der frühere Präsident der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission Italiens, der Soziologe Francesco Forgione, etwa hatte 2009 ein Buch publiziert, das 2011 mit dem Titel „Mafia Export – Wie 'Ndrangheta, Cosa Nostra und Camorra die Welt erobern“ auch auf Deutsch erschien. Darin wird detailliert dargelegt, wo und wie die Mafia ins Ausland expandierte, auch in die schöne Schweiz. Es zeigt, dass sich etwa in Basel der Mazzarella-Clan aus Neapel einnistete, in Luzern und Zürich wohnen laut Forgione Verbindungsleute der Camorra-Familie Licciardi und betreiben Modeboutiquen, während Vertreter der 'Ndrangheta in Genf dubiose Bankgeschäfte abwickeln. Im Buch werden sogar Namen und Vornamen der Mafiosi genannt, es hat auch Karten, auf denen die Mafia-Metastasen eingezeichnet sind.

Guter Platz zum Geldwaschen

Dass sich die Mafia in der Schweiz eingenistet hat, ist auch den dortigen Behörden bekannt und kein Wunder: Das Land werde von den Clans „wegen seiner Wirtschaft und dem Finanzplatz, ebenso wegen der Infrastruktur, besonders geschätzt“, warnte die Bundesanwaltschaft schon vor Jahren. Die Schweiz sei eine „logistische Plattform“ zum Geldwaschen, und zwar nicht nur via Banken und Treuhänder, sondern auch über Immobilien; sie sei ein Ort für illegale Geschäfte und ein guter Unterschlupf. Tatsächlich hatte schon vor 27 Jahren der sizilianische Antimafia-Richter Giovanni Falcone seine Schweizer Amtskollegen gewarnt, dass nach den Mafia-Geldern auch die Mafiosi selbst ins Land kommen würden. 1992 wurde Falcone von der Cosa Nostra durch eine Bombe ermordet.

Im März 2012 hatte der italienische Journalist und Bestsellerautor Roberto Saviano im Lausanner Wochenmagazin „L'Hebdo“ an das Schweizer Parlament appelliert, eine Untersuchungskommission einzurichten, die sich der Mafia-Konten in Schweizer Banken annehmen sollte: „Bis jetzt haben alle Clans, mit denen ich mich befasst habe, sich der Schweiz bedient, um ihr Geld zu verstecken. Verlöre die Mafia dort ihre finanzielle Bewegungsfreiheit, wäre das ein tödlicher Schlag für sie“, betonte der Autor von „Gomorrha“, der in Neapel als Gerichtsreporter unzählige Camorra-Prozesse verfolgt hatte.

Doch wie jene Clans, die etwa den Mailänder Finanzplatz unterwandern, sind auch die Schweizer Ableger um Unauffälligkeit bemüht. Sie treten auf als Geschäftsleute mit Anzug und Krawatte, Kleinunternehmer, Pizzabäcker. Sie sind wie der 74-jährige kalabresische Taxifahrer Raffaele A. in Frauenfeld, der nun in Reggio Calabria hinter Gittern sitzt – der „nette Nachbar von nebenan“. „Sie würden es nie wagen, hier einen Mord zu begehen“, betont Saviano.

Doch letztlich stehen die 'Ndrangheta-Zellen im Ausland in engster Beziehung mit den Clans in ihrer italienischen Heimat und hören auf deren Befehle. Sie sind Teil einer brutalen Organisation, die in Kalabrien „Verräter“ auch schon mal nackt und gefesselt hungrigen Schweinen zum Fraß vorwirft, deren Killer auch vor dreijährigen Kindern nicht Halt machen, die unbotmäßige Politiker und Priester am hellichten Tag erschießen und angeblich untreuen Ehefrauen mit Säure das Gesicht entstellen lässt.

„Man muss immer Angst haben“

Nicht umsonst hat die Schweizer Bundesanwaltschaft die Präsenz der Italo-Clans als „Gefahr für die innere Sicherheit“ bezeichnet. „Vor der Mafia muss man immer Angst haben“, betonte jüngst auch Nicolas Giannakopoulos, Präsident des Observatoriums für organisierte Kriminalität in Genf. Sie sei gefährlich auch außerhalb Süditaliens, aber man dürfe sich von der Angst nicht hemmen lassen. Giannakopoulos zitierte den ebenfalls von der Cosa Nostra getöteten Mafia-Jäger Paolo Borsellino: „Wenn man Angst hat, stirbt man jeden Tag.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2014)

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