Zwölf Jahre und kein Ende: Guantánamo für immer

(c) EPA (Shane T. Mccoy)
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Das US-Militärgefängnis in Kuba wird Präsident Obamas Amtszeit überleben. Während politischer Zank seine Schließung verhindert, hat sich auf der Insel eine kafkaeske Routine eingespielt, die mit dem »Krieg gegen den Terror« kaum mehr etwas zu tun hat.

Wer heute das Militärgefängnis auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo in Kuba besucht, findet eine Häftlingsbibliothek mit mehr als 25.000 Büchern, Magazinen, Computerspielen und Filmen in mehreren Sprachen vor, Kurse zum Erlernen von Fremdsprachen, des Malens und Gärtnerns, Fitnessräume, Playstation 3 und insgesamt 192 Fernsehsender, ein Feldkrankenhaus, in dem mit nagelneuen medizinischen Geräten vom grauen Star bis zum Nierenstein fast jedes Leiden geheilt werden kann, einen Pfeil unter jeder Matratze, der die Richtung von Mekka weist.

Eines jedoch findet der Besucher von Guantánamo auch im 13. Jahr seit der Eröffnung dieses Gefängnisses nicht: faire Gerichtsverfahren gegen jene 149 Männer, die hier noch einsitzen. Nur gegen zehn von ihnen wurden vor Militärtribunalen, die eigens für Guantánamo geschaffen worden sind, Urteile gefällt – oder zumindest Verfahren eröffnet; unter ihnen befindet sich der harte Kern der überlebenden Planer der Anschläge vom 11. September 2001, allen voran Khalid Sheik Mohammed. Die Übrigen sollten gemäß einer Einschätzung der US-Geheimdienste entweder in die Obhut ihrer Heimatstaaten oder anderer williger Länder übergeben werden oder sind so gefährlich, dass sie zeitlebens in Sicherheitsverwahrung der US-Streitkräfte bleiben müssen. Diese Risikoeinschätzung der amerikanischen Geheimdienste fiel Anfang 2010. Sie hätte der erste Schritt zur Schließung des Militärgefängnisses von Guantánamo sein können. Seither ist Präsident Barack Obama seinem Wahlversprechen von 2008, Guantánamo binnen eines Jahres nach Amtsantritt zu schließen, kaum näher gekommen. Widerstand im Kongress verhindert die Überführung der Risikohäftlinge in US-Gefängnisse, die brüchige Sicherheitslage im Nahen Osten die Rückführung der als weniger gefährlich eingeschätzten Männer in ihre Heimatländer.

Kollektive Amnesie. Stattdessen hat sich in der „Joint Task Force Guantánamo“, wie sich das im Jänner 2002 eröffnete Gefängnis amtlich nennt, eine betäubende Routine breitgemacht, die man kafkaesk nennen muss. Ein dreitägiger Besuch des Stützpunktes im Juli durch den Korrespondenten der „Presse am Sonntag“ offenbarte ein erstaunliches Desinteresse der Soldaten an den menschenrechtlichen Problemen dieser Haftanstalt und ein Unverständnis für den enormen Schaden, den Guantánamo Amerika in den Augen der Weltöffentlichkeit zufügt. Die Einsätze hier dauern höchstens neun Monate – zu wenig, um ein Bewusstsein für den Ort zu gewinnen. Man macht hier Dienst nach Vorschrift, in kollektiver Amnesie.

Brigadier Marion Garcia ist ein anschauliches Beispiel für diese Verkennung der Tatsachen. Die wortkarge Militärpolizistin, schwarze Spinnentätowierung am linken Handgelenk, müdes Lächeln um die Lippen, befehligt die Wachmannschaften. „Ich bin nicht sicher, ob Guantánamo wirklich so einen schlechten Ruf hat“, sagt sie. Das meint sie nicht ironisch. Das Argument, die Haftanstalt diene Terrorgruppen als Werbemittel zur Rekrutierung, prallt an ihr ab: „Diese Männer wurden auf Schlachtfeldern in Afghanistan gefangen genommen. Sie sind also vorher rekrutiert worden.“ Darum ging es in der Frage natürlich nicht. Brigadier Garcia, die in Somalia, Südkorea und im Irak gedient hat, bleibt aber unbeirrbar. „,Hungerstreik‘ ist ein interessantes Wort“, antwortet sie auf die Frage nach dem entsprechenden kollektiven Protest von mehr als 100 Häftlingen in den vergangenen Jahren. „Wie in jeder Anstalt gibt es auch hier Leute, die nicht die erforderliche Anzahl von Kalorien zu sich nehmen.“

Orwells Sprache. Solche Sätze hört Martha Rayner seit Jahren, und noch immer muss sich die Strafverteidigerin und Rechtsprofessorin an der Fordham University School of Law in New York ärgern. „Das ist eine Sprache wie bei George Orwell“, sagt sie in ihrem New Yorker Büro. „Das Militär versucht ständig, so zu tun, als würde das, was passiert, nicht passieren, wenn man es anders nennt. Also spricht es von ,verstärkten Verhörtechniken‘ statt von ,Folter‘ und ,mangelhafter Kalorienaufnahme‘ statt ,Hungerstreik‘.“

Rayner vertritt den Saudi Mohammad al Rahman al-Shumrani und den Jemeniten Sanad Yislam al-Kazimi. Letzterer wurde in einem der geheimen Gefängnisse des Geheimdienstes CIA gefoltert. Über die Radikalität dieser Männer und ihren Hass auf Amerika darf man sich keinen Illusionen hingeben. Sie sind beinharte Jihadisten, die angekündigt haben, im Fall ihrer Freilassung wieder in den Krieg gegen Amerika zu ziehen.

Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Männer ein faires Strafverfahren verdienen, um ihre Schuld unzweifelhaft nachzuweisen. Eine wirkungsvolle rechtliche Vertretung sei ihr im unter Präsident George W. Bush geschaffenen, 2006 vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärten und unter Obama erneuerten System der Militärtribunale nicht möglich, kritisiert Rayner.
Das beginnt bei der beschwerlichen und teuren Anreise nach Guantánamo und endet bei der Zensur des Postverkehrs mit ihren Klienten. Und selbst wenn es zu Anklagen kommen sollte, ist die Beweislast für die Regierung vor den Militärtribunalen viel leichter als vor normalen amerikanischen Strafgerichten. „Normalerweise müssen die Ankläger hinreichend Belege für eine Straftat vorweisen, um eine Inhaftierung zu rechtfertigen. Hier aber reicht es, bloß eine Verbindung zu den Taliban zu belegen.“ Das ist einfach: Die Taliban hielten schließlich zum Zeitpunkt des alliierten Angriffs auf Afghanistan die Regierungsmacht in Kabul.

Ein Schlüsselort aus dieser Frühzeit des „Kriegs gegen den Terror“ ist Camp X-Ray. Die berüchtigten Bilder von Insassen, die gefesselt und geknebelt in orangen Overalls unter freiem Himmel knien, prägen seither das Bild der Welt von Guantánamo.

„Wie Auschwitz“.
Dabei war Camp X-Ray nur von 11. Jänner bis 29. April 2002 im Einsatz. Seither verfällt das Lager. Wieso bewahrt das Militär diesen Ort? „Es ist wie mit Auschwitz“, erklärt die Soldatin, die zur Begleitung des Korrespondenten eingeteilt ist. „Man kann nicht so tun, als hätte es nie existiert.“ Der tiefere Sinn ihrer Worte scheint der jungen Frau aus einer kalifornischen Soldatenfamilie nicht bewusst: „Mich erinnert das hier an Tschernobyl. Alles ist überwachsen.“

Generell ist der Umgang der Militärbehörden mit den Medien erstaunlich. So weiß zum Beispiel jeder, der sich ein wenig mit Guantánamo beschäftigt, dass es, ein bisschen abseits von den beiden neuen Hauptlagern in den Hügeln gelegen, ein Camp 7 gibt, in dem die CIA das Kommando führt. Hier sind jene 15 Insassen inhaftiert, die den höchsten geheimdienstlichen Wert haben sollen – allen voran die bereits erwähnten 9/11-Planer. In der Pressemappe des Militärs aber wird Camp 7 nicht erwähnt. Nachfragen schmettert der für Journalistenbesuche zuständige Medienoffizier ab: „Wir diskutieren Camp 7 nicht.“

Was also bleibt von Obamas Versprechen? Wenig, fürchtet Laura Pitter von Human Rights Watch. „Ich war zutiefst enttäuscht, als er die Militärkommissionen wieder eingesetzt hat. Er wollte sich der Debatte nicht stellen, weil das seine Chancen für die Wiederwahl beschädigt hätte. Dabei liegt es in unserem nationalen Interesse, Guantánamo zu schließen.“ Auch Martha Rayner ist skeptisch: „Das wird alles Obamas Nachfolger erben.“
Einzig Marion Garcia, die Wachkommandantin, glaubt an die Einhaltung von Obamas Versprechen: „Mein Präsident hat gesagt, wir schließen es. Also denke ich, dass wir das tun. Ich bin Soldatin. Ich glaube an meinen Präsidenten.“ Einen Augenblick lang mag man fast glauben, sie meine das ironisch.

Zeitleiste

Dezember 2001. Camp X-Ray wird für die Aufnahme von gefangenen Taliban und al-Qaida-Terroristen vorbereitet.
Jänner 2002. Die Ersten von im Lauf der Jahre 779 Häftlingen kommen in Guantánamo an.
April 2002. Camp X-Ray wird geschlossen. Camp Delta eröffnet, gebaut unter anderem von der Baufirma Kellogg, Brown and Root, die zum Mischkonzern Halliburton gehört. Vizepräsident Dick Cheney war bis 2000 Vorstandschef von Halliburton.
November 2005. Die „Washington Post“ berichtet erstmals über geheime CIA-Gefängnisse in Europa und Fernost. Das Weiße Haus dementiert.
Im September 2006 gesteht Präsident George W. Bush das geheime CIA-Verhörprogramm. Die CIA-Häftlinge werden nach Guantánamo überstellt.
Juni 2006. Der US Supreme Court erklärt im Fall Hamdan vs. Rumsfeld die Militärkommissionen, die Bush 2001 geschaffen hat, für verfassungswidrig. Die Insassen von Guantánamo müssten nach den Grundsätzen der Genfer Konventionen behandelt werden. Der Kongress beschließt den „Military Commissions Act“. Offen bleibt, ob die Insassen vor US-Bundesgerichten gegen ihre Inhaftierung klagen können. 2008 befand das Gericht im Fall Boumediene vs. Bush, dass sie das dürfen.
Jänner 2009. Präsident Obama befiehlt, Guantánamo binnen Jahresfrist zu schließen. Die Frist verstreicht. 149 Männer sitzen heute noch ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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