Saudiarabien: Drogenboom unter Saudi-Schleier

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Signifikanter Anstieg der Drogensucht im Königreich. Früher ein Tabu, geht das Land das Problem nun offener an. Ein Lokalaugenschein in einer Drogenklinik in Dschidda.

Das Königreich kennt kein Pardon. „Tod für Drogenschmuggler“ steht in blutroten Buchstaben quer über dem Einreiseformular, mit dem jeder Besucher Saudiarabiens auf dem Flughafen empfangen wird. Kaum eine Woche vergeht ohne öffentliche Hinrichtungen, bei denen Männern mit silbernem Krummschwert die Köpfe abgeschlagen werden, weil sie Haschisch, Amphetamintabletten oder Heroin ins Land geschmuggelt haben. Und trotz dieser drastischen Schariastrafen nimmt der Drogenkonsum in der Heimat des Propheten Mohammed immer dramatischere Ausmaße an.

„Wir sind keine Insel der Seligen“, sagt Osama Ahmad Alibrahim, Chefarzt des al-Amal-Spitals, auf Deutsch: Klinik der Hoffnung, des einzigen Suchtkrankenhauses in der Hafenstadt Dschidda. Arbeitslosigkeit, Familienstress, Langeweile, Abrutschen ins kriminelle Milieu, Depressionen oder Prüfungsangst sind die Ursachen. „Die Drogensucht nimmt seit Jahren zu, bei Männern und Frauen gleichermaßen“, erläutert der 49-jährige Mediziner. Offiziell geht das Innenministerium von 200.000 Suchtkranken unter den 28 Millionen Einwohnern aus, ein Viertel von ihnen Frauen – Zahlen, die in Wirklichkeit deutlich höher liegen.

Haschisch, Captagon, Alkohol

„Ich bin als Jugendlicher an falsche Freunde geraten“, sagt der 23-jährige Ahmed. Als sein Vater starb, schmiss er die Schule, seiner Mutter glitt der Halbwüchsige rasch aus der Hand. „Alles kreiste nur noch um Haschisch, Captagon und Alkohol“, erzählt er. Neun Jahre lang habe sein Leben aus „Schlägereien und Autounfällen“ bestanden, bis ihn sein Onkel schließlich kurzerhand in die Drogenklinik ins 170 Kilometer entfernte Dschidda fuhr. In seine Heimatstadt Taif will er nicht mehr zurück, weil er fürchtet, seinem alten Milieu wieder zu verfallen. Er hofft ein neues Leben: Nach der Therapie will er in Dschidda bleiben und die Matura nachholen.

Jahrelang waren Drogen im Königreich ein absolutes Tabu, weil im Islam streng verboten. In jüngster Zeit jedoch wird das heiße Eisen angesichts der wachsenden Dimensionen offener debattiert. Haschisch, Captagon-Amphetamin, Alkohol und Heroin lautet die düstere Rangliste der Abhängigkeit auf der Arabischen Halbinsel. Laut UN-Weltdrogenbericht wird ein Drittel aller Captagontabletten weltweit in Saudiarabien beschlagnahmt. Im Vorjahr waren es fast 60 Millionen dieser zwölf Euro teuren Speed-Pillen, heuer sind es bereits 72 Millionen. Hinzu kamen zuletzt pro Jahr 45 bis 60 Tonnen Haschisch sowie 50 bis 60 Kilo Heroin.

Der Gesamtwert der jährlich konfiszierten Drogen liegt bei etwa 1,2 Milliarden Euro. Die Polizei schätzt, dass ihr rund zehn Prozent ins Netz gehen, sodass sich der tatsächliche Drogenumsatz auf mindestens zwölf Mrd. Euro summiert. 35.690 Menschen wurden 2013 wegen Drogendelikten verhaftet, 25 Prozent sind Schmuggler oder Dealer, viele aus dem Jemen, aus Ägypten, Pakistan, Syrien oder Äthiopien. „Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel“, sagt Abdullah Alghamdi in der Zentrale der saudischen Drogenpolizei in Riad, von der aus alle Einsätze im Land gesteuert werden. In den Fluren stehen Flachbildschirme, auf denen Bilder von Polizeierfolgen laufen, wie jüngst die Beschlagnahme einer halben Tonne Kokain im Hafen von Dschidda. Der abgedunkelte Operationsraum hat 16 Computerplätze. „Wir verfolgen gerade eine Ladung von zwei Millionen Amphetamintabletten“, erläutert der verantwortliche Offizier. „Die Schmuggler haben wir ermittelt, auch das Schiff und das Lagerhaus, wo die Ladung hin soll. Nun liegen wir auf der Lauer, um die saudischen Hintermänner zu kriegen.“

Pionier in der Golfregion

Über 300 Millionen Euro stellt das Gesundheitsministerium pro Jahr für seine Therapieeinrichtungen zu Verfügung. Bis zu zwei Jahre dauert ein kompletter Entzug, sechs Monate davon stationär, die übrige Zeit außerhalb der Klinik in einem therapeutischen Wohnhaus oder betreut durch eine Suchtambulanz. „Beim Drogenentzug gehören wir zu den Pionieren der Golfregion“, erläutert Chefarzt Osama Ahmad Alibrahim. Dschiddas al-Amal-Klinik wurde bereits 1980 gebaut. Zwischen den sechs beigen Patienten-Bungalows mit 220 Plätzen liegen Schwimmbad und Turnhalle, Krafträume und Werkstätten, Moschee und traditionelles Beduinenzelt als Treffpunkt der Patienten.

Abdulmohsen hat seine Sucht überwunden. „Jahrelang habe ich geglaubt, ich schaffe es allein, bis ich am Ende total am Boden war“, sagt der 48-jährige Ex-Junkie und inzwischen einer der 16 Sozialarbeiter im al-Amal-Spital. „Ich habe mit Alkohol angefangen und bin am Ende bei Heroin gelandet. Heroin zu besorgen, war kein Problem“, erzählt er schmunzelnd. Jahrelang hat er sich in der Halbwelt Dschiddas mit Gelegenheitsjobs und Gaunereien durchgeschlagen.

Sein Gesicht ist gezeichnet von der ruinösen Odyssee, seine Stimme dunkel. Für die akut Süchtigen in der Klinik jedoch ist er respektiertes Vorbild, weil er ihre Abgründe kennt und ihm keiner in den Selbsthilfegruppen etwas vormachen kann. „Ich sage ihnen ins Gesicht: Niemand ist verantwortlich für dein Verhalten außer du allein. Und niemand wird dich aus diesem Dreck herausziehen, wenn du es nicht selbst tust.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2014)

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