Italien: Sonnenbad neben Leichen

(c) AP (Lionel Cironneau)
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Zwei Roma-Mädchen ertrinken an einem Strand westlich von Neapel – die Badenden schauen zu und lassen sich nicht beirren. Der Tod der Mädchen ereignet sich in einem aufgeheizten politischen Klima.

Neapel (red.). Eine frische Brise zieht über das bewegte Meer, Wellen schlagen an den Strand, an dem sich die Meute der Sonnenanbeter räkelt. Doch etwas stört die sommerliche Idylle bei Torregaveta, westlich von Neapel: Es sind die Füße von Violetta und Cristina, die unter zwei Badetüchern hervorschauen. Denn die beiden Roma-Mädchen sind tot. Die alarmierten Rettungsschwimmer konnten nichts mehr für die ertrunkenen Mädchen tun.

Stundenlang lagen die Leichen laut Augenzeugenberichten am Strand – und nur wenige Meter entfernt genossen die Menschen, die Zeugen des Unglücks gewesen waren, weiter ihren Badetag. Nicht einmal als die Leichen der 14 und 16 Jahre alten Mädchen (laut anderen Berichten waren sie elf bzw. zwölf) endlich in Särgen weggetragen wurden, stiftete das große Unruhe unter den Badenden.

Doch Fotos davon fanden ihren Weg in die Zeitungen, und ganz Italien zeigte sich am Montag entsetzt über den Vorfall: „Zwei Roma-Kinder ertrinken inmitten von Gleichgültigkeit“, titelte „La Repubblica“. Auch der Erzbischof von Neapel, Kardinal Crecentio Seppe, meldete sich zu Wort – im Internet-Tagebuch seiner Diözese: „Gleichgültigkeit ist keine Gefühlsregung, die einem menschlichen Wesen ziemt.“

Rassismus-Vorwürfe

Der Tod der Mädchen ereignete sich in einem aufgeheizten politischen Klima: Vergangene Woche hatte Italiens Regierung damit begonnen, den rund 150.000 im Land lebenden Roma die Fingerabdrücke abzunehmen, was im Ausland für scharfe Kritik und Rassismus-Vorwürfe sorgte.

Sichtlich bemüht, die Wogen zu glätten, lancierte Innenminister Roberto Maroni von der rechts-populistischen Lega Nord nun eine andere Maßnahme: Roma-Waisen, die in Italien geboren wurden, soll die italienische Staatsbürgerschaft gewährt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2008)

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