„Die Ukraine darf kein Bordell werden“

(c) Bilderbox (Erwin Wodicka)
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Prostitution ist in der Ukraine verboten. Gleichwohl nimmt die Zahl der Sextouristen drastisch zu. Prostituierte erwirtschaften etwa eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. Genaue Zahlen sind schwierig zu eruieren.

Warschau/Kiew. Die Einwohner von Kiew sind an Demonstrationen aller Art gewöhnt, doch so etwas haben sie auf dem Maidan noch nicht gesehen. Etwa 50 Frauen, hergerichtet wie Prostituierte, versammelten sich auf dem zentralen Platz der Hauptstadt und plauderten ausgelassen miteinander. Wie auf ein Kommando zeigten die Damen dann plötzlich ihr wahres Gesicht. Sie winkten den Passanten aufreizend mit Dollarnoten zu und reckten Plakate in den Himmel. „Die Ukraine ist kein Bordell“, stand darauf zu lesen.

„Es ist beschämend für uns Frauen und beschädigt das Image des Landes, dass die Ukraine immer stärker zu einem Ziel für Sextouristen wird“, erklärt Anna Hutsol die spektakuläre Aktion.



„Dieses Problem wird in der Ukraine auch deshalb totgeschwiegen, weil die allermeisten betroffenen Frauen aus Scham nicht darüber reden wollen.“

Anna Hutsol, Vorsitzende der Studentinnenorganisation Femen

Die junge Frau ist Vorsitzende von „Femen“, einer Organisation von Studentinnen, die sich den Kampf gegen die grassierende Prostitution auf ihr Banner geschrieben hat. Ziel der Frauen ist es, dass die Regierung ein Gesetz erlässt, das Sextouristen die Einreise in die Ukraine verbietet.

Diese Männer bereits an der Grenze abzufangen sei unmöglich, hält Andrej Schenin entgegen. Der Tourismusexperte der Regierung erklärt, dass den verantwortlichen Politikern die rapide steigende Zahl dieser Besucher nicht entgangen sei, aber es sei schon schwer genug, auch nur ungefähre Zahlen in diesem Bereich zu bekommen.

Nebenjob für Studentinnen

Nach Schenins Angaben besuchten im vergangenen Jahr rund 22 Millionen Menschen die Ukraine, 22 Prozent mehr als 2006. Gleichzeitig würden sich nach Angaben der Polizei rund 12.000 Prostituierte auf die Suche nach Freiern begeben und auf diese Weise rund 500 Millionen Euro erwirtschaften – obwohl die Prostitution in der Ukraine gesetzlich verboten ist.

Anna Hutsol hält diese offiziellen Zahlen für weit untertrieben. Sie erklärt, dass nicht nur Frauen aus den armen oder sozial schwachen Schichten ihre Körper verkaufen müssten. Immer mehr Studentinnen sähen sich wegen der lächerlich niederen Stipendien und der hohen Lebenshaltungskosten vor allem in Kiew gezwungen, das Geld für ihre Ausbildung als Prostituierte zu verdienen. Hutsol: „Dieses Problem wird in der Ukraine auch deshalb totgeschwiegen, weil die allermeisten betroffenen Frauen aus Scham nicht darüber reden wollen.“

Iryna Konchenkova führt noch ein weiteres Argument für die steigende Zahl von Prostituierten ins Feld: den allgemeinen Verfall der moralischen Werte. Sie leitet die Organisation „Schule der gleichen Möglichkeiten“, die gegen Kinderarbeit und Kinderpornografie kämpft. Viele der jungen Mädchen träumten von einem Leben im Luxus, von schnellen Autos und schicken Kleidern, sagt sie. Dieses materielle Denken verleite die Frauen dazu, ihre Wünsche auf die scheinbar einfachste Weise zu realisieren.

Sorge wegen Fußball-EM 2012

Besorgnis bereitet den Kämpfern gegen die Prostitution die geplante Fußball-Europameisterschaft 2012 in der Ukraine. „Wir arbeiten an einem langfristigen Plan, der gezielt auf dieses Großereignis ausgerichtet ist“, sagt Anna Hutsol. Eine groß angelegte Plakataktion gehört dazu und berühmte Ukrainer sollen in TV-Spots und öffentlichen Auftritten vor den Gefahren der Prostitution warnen. Sie mag es sich heute noch nicht vorstellen, was passiert, wenn hunderttausende Fans die Ukraine überschwemmen. Hutsol: „Wir haben jetzt schon die höchste Aids-Rate in Europa.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2008)

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