Pakistan: Lebendig begraben – Entsetzen über Ehrenmorde

(c) EPA (T. Mugha)
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Heftige Debatte im Parlament über einen barbarischen Vorfall in Belutschistan: Senatoren verteidigen die Ermordung von Frauen, die arrangierte Ehen verweigerten, als „Stammestradition“.

Delhi.Was Pakistans Senatorin Yasmin Shah vor wenigen Tagen im Oberhaus des Parlaments in Islamabad zur Sprache brachte, löste bei den Zuhörern schieres Entsetzen aus. Shah berichtete von einem Vorfall in der westpakistanischen Provinz Belutschistan, der sich vor knapp einem Monat ereignet haben soll.

Sechs Männer sollen in der Nähe der Stadt Jaffarabad fünf Frauen in ein Auto gezerrt haben und mit ihnen in die Wüste gefahren sein. Dort hätten sie auf die Frauen geschossen und sie dann bei lebendigem Leib begraben. Der Vorwurf: Drei der Frauen, Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren, sollen sich geweigert haben, arrangierte Ehen einzugehen. Die beiden anderen Opfer sollen Verwandte gewesen sein, die den Mädchen zur Hilfe kommen wollten. Pakistan hat seinen „Ehrenmord“-Skandal.

Doch was sich dann im Parlament abspielte, löste bei den Menschen im Land noch mehr Bestürzung aus. Zwei Senatoren aus Belutschistan attackierten ihre Kollegin: Senator Israrullah Zehri verbat sich jegliche Einmischung der Regierung. Die Morde seien ein Teil der „Stammestraditionen“ und sollten „Obszönitäten“ verhindern.

Untersuchung gefordert

Auch der stellvertretende Vorsitzende des Senats, Jan Mohammad Jamali, sorgte für Empörung. Er stammt aus dem Distrikt, in dem sich die Morde abgespielt haben sollen, und empfahl seiner Kollegin Shah mit deutlich ironischem Unterton, sie solle in die Region fahren und sich die Situation dort anschauen. „Dann soll sie noch mal so eine Anfrage hier im Haus stellen.“ Im pakistanischen Parlament entzündete sich daraufhin eine aufgeregte Debatte.

Andere Abgeordnete aus Belutschistan nahmen Shah in Schutz und bezeichneten den Vorfall als „barbarisch“. „Es gibt (in Belutschistan) keine Tradition, Frauen lebend zu begraben“, sagt Ghafoor Haideri. Das sei mit den Lehren des Islam unvereinbar. Die ehemalige Frauenministerin Nilofar Bakhtiar zeigte sich später entsetzt über die Debatte. Menschenrechtsgruppen im ganzen Land forderten eine Untersuchung.

Nun soll ein hochrangiger Polizeioffizier die Ermittlungen leiten. Besonders brisant ist dabei der Verdacht, die Provinzregierung habe versucht, die Morde zu vertuschen. Denn einer der Täter soll der jüngere Bruder eines Provinzministers sein.

Der Vorfall wirft ein Schlaglicht auf ein weitaus größeres Problem. Belutschistan ist die größte der vier Provinzen des Landes und macht fast die Hälfte des pakistanischen Staatsgebiets aus. Der Großteil der Region besteht aus Bergen und Wüsten, in denen nur etwa zehn Millionen Menschen leben, die in Stämmen organisiert sind. Seit seiner Staatsgründung im Jahr 1947 hat Pakistan nur wenig unternommen, um für eine Entwicklung der Region zu sorgen.

Rechtsfreier Raum

Stattdessen beutet der moderne, industrialisierte Ostteil des Landes die enormen Gasvorkommen Belutschistans rücksichtslos aus. Den Menschen des Wüstenstaats kommt das kaum zugute. Es fehlt an Schulen und Krankenhäusern. Gut ausgebaute Straßen führen nur zu den Gasfeldern und entlang der gewaltigen Gaspipelines, die in den Ostteil des Landes führen und von Soldaten schwer bewacht werden. Nur in diesem weitgehend rechtsfreien Raum konnten sich die Jahrtausende alten, extrem patriarchalischen Stammestraditionen erhalten.

Erst vor zwei Jahren ist es der Armee nur mit Mühe gelungen, in Belutschistan einen Aufstand gegen die Herrschaft Islamabads niederzuschlagen. Seither brodelt der Konflikt weiter. Schon bald könnte die Region wieder zum Kriegsschauplatz werden: Denn wegen der Kämpfe im benachbarten Afghanistan flüchten immer mehr Paschtunen über die Grenze nach Belutschistan. Schon gibt es Berichte, wonach in der Provinzhauptstadt Quetta afghanische Taliban durch die Straßen patrouillieren und sich als die Herren über Recht und Ordnung aufspielen.

AUF EINEN BLICK

Belutschistan ist die größte der vier Provinzen Pakistans und macht fast die Hälfte des Staatsgebiets aus. Der Großteil der Region besteht aus Bergen und Wüsten, in denen nur etwa zehn Millionen Menschen leben, die in Stämmen organisiert sind. Seit seiner Staatsgründung 1947 hat Pakistan nur wenig unternommen, um die Region zu entwickeln.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2008)

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