UNO sagt Somalias Piraten den Kampf an

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Der Sicherheitsrat fordert ein härteres Vorgehen gegen Piraten. Hilfe für Millionen Hungernde steht auf dem Spiel.

Wien/ New York/ Mogadischu. Seeräuber, das war etwas für Abenteuerfilme und Jugendliteratur, inklusive Totenkopfbanner und Hakenprothese. War, denn in den letzten Jahren hat die Piraterie eine Renaissance erlebt – erst in der Straße von Malakka vor Indonesien, nun ganz massiv vor der Küste Somalias, besonders im Golf von Aden.

Das Unwesen nahm derart überhand – zur Stunde befinden sich mehr als 250 Seeleute auf gut einem Dutzend Schiffen in der Gewalt von Seeräubern –, dass sich der UN-Sicherheitsrat nun bereits zum zweiten Mal binnen fünf Monaten zum Handeln gedrängt sah. Einstimmig verabschiedete er Dienstagabend eine Resolution, die alle Staaten mit Kriegsschiffen in der Region auffordert, zu Wasser und aus der Luft gegen die Piraten vorzugehen.

Konkreter Anlassfall ist die spektakuläre Kaperung des ukrainischen Frachters „Faina“, der 33 Panzer des Typs T-72 geladen hatte, offiziell für Kenia, möglicherweise aber illegalerweise für die Regierung des Südsudan. Am Mittwoch zeichnete sich ein Deal ab: Die Entführer ließen sich offenbar von 20 auf acht Millionen Dollar Lösegeld herunterhandeln.

Hungernde warten auf Hilfe

„Ein Boot aus Dschibuti wird das Geld bringen, und das Schiff wird binnen zwei Tagen frei sein“, zitieren Agenturen einen Verbindungsmann zu den Entführern.

Das Entern eines mit Kriegsgerät beladenen Frachters mag aufsehenerregend sein, es steht jedoch viel mehr auf dem Spiel: zigtausend Menschenleben. Drei Millionen Menschen in Somalia sind derzeit vom Hunger bedroht, fast 90 Prozent der Lieferungen des World Food Programme kommen auf dem Seeweg. Oder eben nicht, wenn kein Ersatz für die kanadischen Marineverbände gefunden wird, die bis 23. Oktober zusammen mit Schiffen einiger europäischer Länder die Transporte eskortieren. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon brachte es am Dienstag auf die griffige Formel: „Ohne Eskorte keine Schiffe, ohne Hilfe sterben noch mehr Menschen.“

Piraten lernen dazu

Und die Piraten agieren immer professioneller. Zu diesem Schluss kommt der britische Thinktank „Chatham House“, der in einer Studie („Threatening global trade, feeding local wars“) die aktuellen Trends beschreibt:
•Die Seeräuber sind immer besser bewaffnet. Neben automatischen Waffen setzen sie zunehmend schultergestützte Raketenwerfer ein. Reißt ein solches Geschoss ein Leck in einen Öltanker, droht eine Umweltkatastrophe mit schwersten Folgen für Meerestiere und Wasservögel, und zwar auf Jahre, warnen die Autoren.
•Der einst empfohlene Sicherheitsabstand von 50 Meilen zur Küste reicht nicht mehr aus. Die Angriffe werden zwar weiter von wendigen Booten durchgeführt, durch die Benützung von Mutterschiffen, oft ebenfalls gekaperte Fischkutter, konnten die Piraten aber ihren Aktionsradius dramatisch ausweiten. Schiffe sollten sich der Küste auf maximal 200 Meilen nähern, so die Empfehlung.
•Zur Professionalisierung der Täter hat beigetragen, dass diese sich oft aus ehemaligen Küstenwache-Leuten rekrutieren.
•Da die Reedereien meistens zahlen, schrauben die Piraten ihre Lösegeldforderungen drastisch in die Höhe. Waren es vor einigen Jahren zum Teil nur fünfstellige Dollarbeträge, gehen sie nun immer öfter in die Millionen. Und die Versicherungen verlangen mittlerweile die zehnfachen Prämien.

Teufelskreis aus Geld und Krieg

Mittlerweile ist eine Art Teufelskreis entstanden: „Das Geld aus der Piraterie heizt den Krieg in Somalia an“, heißt es bei Chatham House. Umgekehrt kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die wirksamste Waffe gegen die Piraterie ein Friedensschluss in Somalia wäre.In der Straße von Malakka, wie der Golf von Aden eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt, ist das Seeräubertum nach der Befriedung der indonesischen Bürgerkriegsprovinz Aceh jedenfalls stark zurückgegangen.

Kurzfristig dürfte nur eine stärkere ausländische Militärpräsenz helfen. Einige EU-Staaten vereinbarten kürzlich einen gemeinsamen Marineeinsatz. Schon im Juni hatte der UN-Sicherheitsrat erlaubt, in somalischen Hoheitsgewässern Gewalt anzuwenden. Wirklich Gebrauch davon machten nur die Franzosen, die zweimal Piraten bis an die Küste verfolgten, stellten und ihnen nun in Frankreich den Prozess machen.

AUF EINEN BLICK

Immer professioneller gehen die Piraten vor der Küste Somalias laut einer Studie von „Chatham House“ vor: Sie rekrutieren ehemalige Küstenwache-Beamte, verwenden neuerdings auch Raketenwerfer und konnten ihren Aktionsradius durch die Verwendung von Mutterschiffen deutlich ausweiten. Ein Teil des erbeuteten Lösegeldes fließt Kriegsparteien in Somalia zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2008)

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