Italien: Wilde Gelage in der Totenstadt

(c) AP (Gregorio Borgia)
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Unter einem Stadion in Rom wurde eine zweitausend Jahre alte Nekropole entdeckt. Sie stammt aus der klassischen Zeit des Römischen Reiches und ist riesengroß.

ROM. Es geht auf November zu, und was machen die römischen Archäologen? Sie vermelden die Entdeckung einer Totenstadt. Bei der Renovierung eines Rugby-Stadions waren Arbeiter auf die Nekropole gestoßen – und sie erwies sich als ziemlich spektakulär: Es handelt sich um eine mächtige Ansammlung von rund zweitausend Jahre alten Einfamilienhäusern, also aus der klassischen Zeit des Römischen Reiches, die erdacht, eingerichtet und ausgeschmückt waren für Verstorbene – und die einer richtigen Stadt mit Häusern und Straßen ähnelt.

Tonscherben aus dem Mittelalter, die man in den Gebäuden fand, legten zudem nahe, dass die Nekropole auch noch in viel späteren Jahrhunderten von lebenden Menschen besiedelt war.

Wer in der noch nicht ganz freigelegten Nekropole beigesetzt wurde, ist noch unbekannt. Archäologen glauben, dass einige der Toten freigelassene griechische Sklaven waren. Es werde Wochen dauern, bis die unterirdische Anlage völlig erfasst worden sei, sagt die Wissenschaftlerin Marina Piranomonte. „Es ist etwas Großes, es sieht aus wie ein Viertel.“

Das ist freilich nicht die einzige Anlage ihrer Art vor den Toren des antiken Rom. Berühmt ist die „Isola Sacra“ nahe am einstigen Hafen Ostia. Und erst vor einem Jahr hat der Vatikan jene Totenstadt zugänglich gemacht, die sich entlang der alten „Via Triumphalis“ unter seinen Museen ausbreitet.

Im antiken Rom wurde vor den Stadtmauern bestattet, nicht innerhalb. Am liebsten entlang der großen Ausfallstraßen, und je mehr Geld eine Familie hatte, umso prominenter stellte sie das in ihrem Mausoleum zur Schau – natürlich in der ersten Reihe.

Systematisch errichtete Totenstädte waren, auch wenn Spekulanten an ihnen verdienten, freilich eher was fürs mittlere Bürgertum. Die Armen verschwanden ganz unter der Erde – in den „Taubenschlägen“ der Katakomben, wo man sie dicht an dicht stapelte.

Sehr praktisch: Grab mit Küche

Die Toten blieben indes nicht allein. Ihre Totenhäuser waren so gebaut, dass die Lebenden Gedenkfeste feiern konnten – fröhliche Banketts, bei denen tüchtig getafelt und getrunken wurde. Manches Grab verfügte dafür nicht nur über passende Liegen, sondern auch über eine Küche. Es galt, die Manen – die Geister der Toten – zu besänftigen; und damit nicht nur sie ihre Blumen, ihren Wein, ihr Obst und ihre gegrillten Lämmer bekamen, richteten die Römer gern per Testament einen „Festfonds“ für Lebende ein.

Die frisch entdeckte Totenstadt an der Hauptstraße nach Norden, der Via Flaminia, soll sehr gut erhalten sein; der nahe Tiber hat sie bei seinen Überschwemmungen in ein dickes Sandbett gepackt. Und im Mittelalter wurde sie offenbar als Wohnviertel genutzt.

Fraglich ist, wie sinnvoll weitere Grabungen sind: Die Totenstadt auf der Isola Sacra etwa ist großteils freigelegt, verfällt aber mangels Schutzes und Pflege. Damit gehen Schätze, die zwei Jahrtausende im Boden überdauerten, nach ihrer Ausgrabung verloren.

Angesichts der Dichte der antiken Stätten einerseits und der dünnen Finanzmittel des italienischen Staates andererseits plädieren einige Archäologen dafür, manche Altertümer einfach in der Erde ruhen zu lassen – nur so würden sie weiterleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2008)

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