Griechenland: Der Staat, den alle nur plündern wollen

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In der Nacht zum Sonntag brannte es in den Straßen, hagelte es Steine auf Polizisten, wurden Banken und Regierungsgebäude attackiert. Mehr als eine Woche Chaos in Athen, ein Ende ist nicht in Sicht.

ATHEN. „Irgendwann müssen endlich auch einmal die ganz oben bestraft werden!“, schreit Jannis Basdekas gegen die lärmenden Demonstranten an. „Der Schaden, den die Kinder hier angerichtet haben, ist nichts gegen die Milliarden, die sich Politiker, Staatsbeamte und Kleriker in prallen Koffern gegenseitig zuschieben!“

Der Dozent der Geologie hat bisher keine der Demonstrationen ausgelassen, die seit dem Tod des 15-jährigen Schülers Alexis Grigoropoulos durch eine Polizeikugel am 6. Dezember die griechische Hauptstadt Athen ins Chaos gestürzt haben. Basdekas distanziert sich aber von der Gewalt der meist jugendlichen Extremisten, die am Rande friedlicher Demonstrationen Abend für Abend Banken, Geschäfte, Wohnhäuser, Hotels und Ministerien verwüsten.

Auch am vergangenen Wochenende wieder: In der Nacht zum Sonntag brannte es in den Straßen, hagelte es Steine auf Polizisten, wurden Banken und Regierungsgebäude attackiert.

Verstehen kann der 39-jährige Geologie-Dozent die Wut der Jungen aber schon. „Die Ermordung von Alexis war nur der Funken, der ein explosives Gemisch in Brand gesteckt hat. Wir sind ja in Griechenland an Skandale und Perspektivlosigkeit gewöhnt. Aber was wir unter der Regierung Karamanlis erleben, war noch nie da.“

Enttäuschte Hoffnungen

Kostas Karamanlis ist nach Meinung vieler Griechen ohnehin nur an der Macht, weil es keine Alternative gibt. Als er 2004 mit seiner konservativen Nea Dimokratia die sozialistische Pasok nach fast 20Jahren Regierungszeit ablöste, war zwar noch die Hoffnung weit verbreitet, dass mit dem bis in die untersten Chargen der öffentlichen Verwaltung etablierten Parteifilz aufgeräumt werde. Doch auch Karamanlis machte das, was alle griechischen Regierungen vor ihm gemacht haben: Er tauschte „die Kinder der Pasok“ in den Amtsstuben durch eigene Anhänger, die den Staat ebenfalls nur als Selbstbedienungsladen ansehen, aus.

Schon kurz nach seiner Amtsübernahme platzte ein Schwindel um Staatsanleihen, die mit Millionen aus den Rentenkassen aufgelegt worden waren. Dass der Arbeitsminister unversicherte ausländische Hausangestellte beschäftigte, der Bauminister für seine Villa nur eine sehr viel billigere Baugenehmigung als Würstelstand beantragt hatte, und ähnliche Peinlichkeiten, nahmen die Griechen ja noch hin – schließlich nutzen die Bürger selbst jede Gelegenheit, den als feindlich empfundenen Staat zu betrügen.

Verständnis für Wut der Jungen

Dass aber der engste Vertraute und eigentliche Drahtzieher der Politik von Karamanlis, der inzwischen zurückgetretene Regierungssprecher Theodoros Roussopoulos in den sehr begründeten Verdacht geriet, Immobilienspekulationen begünstigt zu haben, die den Steuerzahler Milliarden Euro gekostet haben sollen, ließ die Volksseele endgültig kochen. Und zwar vor allem auch deshalb, weil die dubiosen Geschäfte ausgerechnet mit dem Abt eines Klosters der abgeschiedenen Mönchsrepublik Athos in Nordgriechenland abgewickelt worden waren.

Der völlige Schwund des Vertrauens in einen Staat und seine Institutionen, der von den Mächtigen meist straffrei geplündert wird, ist die Erklärung dafür, dass eine überwältigende Mehrheit der griechischen Bürger auch angesichts der zerstörerischen Wut der Jugend nicht nach hartem Durchgreifen der Polizei ruft. Im Gegenteil: Eltern, Lehrer und sogar viele der geschädigten Geschäftsleute können nachvollziehen, dass sich die Jugendlichen um ihre Zukunft betrogen fühlen.

Im Umfeld der internationalen Wirtschaftskrise treffen die Strukturschwächen der griechischen Politik gerade die Generation, die sich in der Ausbildung befindet. Kaum ein Schüler kann darauf hoffen, die Aufnahmeprüfungen für die Universität zu bestehen, ohne dass seine Eltern teure Nachhilfeschulen bezahlen. Aber selbst ein Hochschulabschluss garantiert kein gesichertes Auskommen, schon gar nicht ohne die entsprechenden Beziehungen.

„Was soll sich denn ändern?“

Basdekas hat als Geologe zwar einen Job, doch nur mit Zeitvertrag. In acht Monaten muss er wieder kämpfen, 900 Euro im Monat verdienen zu dürfen, mit denen er auch seine arbeitslose Frau Agathi versorgen muss. Die „Generation der 700-€-Empfänger“ hat sich in einer Bewegung formiert. Verbindet sie Hoffnungen mit einem Regierungswechsel? „Nein“, sagt Agathi, „was soll sich ändern, wenn wieder Pasok kommt? Wir brauchen was Neues, etwas, was die Gesellschaft an der Wurzel verändert. Wir müssen bei uns selbst anfangen.“

AUF EINEN BLICK

Seit dem 6. Dezember, als der 15-jährige Schüler Alexis Grigoro-poulosvon einer Polizeikugel tödlich getroffen wurde, werden Athen und andere griechische Städte von schweren Unruhen, angezettelt von randalierenden Jugendlichen, heimgesucht.

Bisherige Bilanz der Unruhen: Hunderte von Geschäften wurden zerstört und teilweise geplündert. Gewaltbereite Autonome haben es vor allem auf Banken, Regierungsgebäude, Geschäfte und Polizeistationen abgesehen. Der Schaden wird von der Regierung inzwischen auf 200 Mio. Euro geschätzt.

70 Personen wurden verletzt, es gab mehr als 400 Festnahmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2008)

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