Weißrussland: Ausreise-Sperre für Tschernobyl-Kinder

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Per Dekret verbietet Präsident Lukaschenko bedürftigen Kindern Erholungsreisen ins Ausland. Verträge sollen künftig ihre Sommerferien regeln.

Minsk/Wien. Für hunderte Kinder, die sich darauf gefreut hatten, aus der häuslichen Tristesse Weißrusslands zu entfliehen, brach eine Welt zusammen: Erlass 555, von Präsident Alexander Lukaschenko überraschend vor Kurzem beschlossen, verbietet ihre Ausreise. Für die Kinder aus der strahlenverseuchten Region Tschernobyl, die noch immer unter den Spätfolgen der atomaren Katastrophe von 1986 leiden, mussten die Winterferien in Deutschland abgesagt werden. Helfer in Deutschland und in Österreich, die jedes Jahr Erholungsaufenthalte organisieren, fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Und noch ist unklar, ob die Sommerferien wie geplant stattfinden können.

Was wie ein Willkürakt des weißrussischen Präsidenten wirkt, hat einen konkreten Hintergrund. „Es ist immer wieder vorgekommen, dass Kinder nicht rechtzeitig aus diesen Erholungsurlauben zurückgekommen sind“, heißt es aus dem Außenministerium in Minsk.

Der Präsident habe mit seinem Erlass auf Vorfälle in Italien und in den USA reagiert, wo sich zwei Teenager zuletzt im August vergangenen Jahres weigerten, nach Weißrussland zurückzukehren. Sie wollten lieber bei ihren Gasteltern bleiben. In Minsk war sogar von dubiosen „Blitzadoptionen“ die Rede.

Verwirrung in Österreich

Lukaschenko fordert nun von den Gastländern Garantien, dass die Kinder aus den Ferien zurückkommen. Außerdem dürfen sie nicht älter als 14 Jahre sein und nicht öfters als dreimal in das gleiche Land verschickt werden. Jeder Staat, in dem Erholungsaufenthalte organisiert werden, soll entsprechende bilaterale Verträge unterzeichnen.

Für die deutschen Organisationen, die jedes Jahr Aufenthalte für rund 8000 Kinder organisieren, ist dies ein Schlag ins Gesicht. Man legt sehr viel Wert auf unbürokratische Hilfe und befürchtet nun, in die Mühlen der Politik zu geraten. Die Arbeitsgemeinschaft „Den Kindern von Tschernobyl in Deutschland“ warnt vor einer drohenden „Verstaatlichung“.

In Berlin heißt es, man stehe mit Minsk in Verhandlungen über das gewünschte Abkommen und wolle das Papier zum Wohle der Kinder so schnell wie möglich unterzeichnen. Die Bundesregierung versicherte aber noch nachdrücklich, dies geschehe, „ohne hierbei die Absicht zu verfolgen, das zivilgesellschaftliche Engagement zu reglementieren“.

In Österreich herrscht Unklarheit über den geplanten Vertrag. Eine zentrale Anlaufstelle für die Organisation der Kinderreisen gibt es nicht. Einzelne Organisationen, Vereine und Privatpersonen ermöglichen die Aufenthalte. Bei der Caritas Oberösterreich, die seit 1991 jährlich zwischen 500 und 800 Kinder für drei Wochen nach Österreich bringt, weiß man noch nicht, wie es weitergeht – oder ob es überhaupt weitergeht.

Auch Maria Hetzer, die seit 15 Jahren privat die Erholung von bis zu 200 Kindern in Niederösterreich organisiert, ist noch nicht sicher, wie die Aufenthalte in Zukunft ablaufen werden. Viele österreichische Familien würden sich auf „ihre Kinder“ freuen, die jedes Jahr drei Wochen bei ihnen verbringen. Dennoch hat die Sozialarbeiterin bereits mit der Organisation für den kommenden Sommer begonnen.

Unterschrieben hat den Minsker Vertrag bisher nur Italien. Alle anderen Länder stehen noch in Verhandlungen. Insider fürchten, dass die Organisatoren künftig wegen der bürokratischen Hürden auf die Sommeraktionen völlig verzichten werden.

Winterferien auf Eis gelegt

Kurzfristig zeigte Alexander Lukaschenko dann doch Mitleid: Kurz vor Weihnachten unterzeichnete er den Erlass 688, um so den Erlass 555 bis Mitte Jänner außer Kraft zu setzen. Einige Kinder konnten dann die Feiertage bei ihren Gasteltern verbringen. Doch geplante Winterferien wurden auf Eis gelegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2009)

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