Eluana Englaro: "Es war Mord" - Glaubenskrieg nach Sterbehilfe

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Gedenktafel(c) AP (PAOLO GIOVANNINI)
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Premier Silvio Berlusconi hing Staatspräsident Giorgio Napolitano Mitschuld um: Er bedauerte, dass man „die Aktion der Regierung zur Rettung von Leben verhindert“ und Eluana ermordet habe.

ROM. Die Todesnachricht platzte in die erregte Debatte über ein Eilgesetz, mit der Italiens Parlament auf Druck der Regierung das Sterben Eluana Englaros verhindern und den schon laufenden Prozess der Sterbehilfe stoppen wollte. Die 38-Jährige, die seit einem Autounfall vor 17 Jahren im Wachkoma lag und deren künstliche Ernährung seit vier Tagen beendet war, sei „unvorhergesehen plötzlich“ gestorben – das teilte die Klinik in Udine mit, die als einzige in Italien bereit war, der Patientin auf Wunsch ihres Vaters Sterbehilfe zu leisten.

Die Todesursache war noch unbekannt (erst Dienstag hieß es aus der Klinik „La Quiete“, die Nieren hätten versagt, worauf ein Herzstillstand gefolgt sei), da waren sich Minuten nach der Todesmeldung rechte Politiker und Bischöfe schon einig: „Es war Mord.“ Premier Silvio Berlusconi hing Staatspräsident Giorgio Napolitano gar Mitschuld um: Er bedauerte, dass man „die Aktion der Regierung zur Rettung von Leben verhindert“ und Eluana ermordet habe. Napolitano weigerte sich in der Vorwoche, eine Notverordnung Berlusconis zum Stopp der Sterbehilfe für Eluana zu signieren; für Napolitano überschritt der Premier damit seine Befugnisse.

„Tür zur Euthanasie“ soll zubleiben

Die Regierung nahm Dienstag den Entwurf des Eilgesetzes zurück. Sozialminister Sacconi sagte, man wolle ein allgemeines Gesetz über Patientenverfügungen erarbeiten; man wolle einen neuen Fall Englaro verhindern und daraus kein Präjudiz werden lassen, das die „Tür zur Euthanasie“ öffne.

Im Kern hatte das Eilgesetz nur den Stopp künstlicher Ernährung verbieten wollen. Das zeigt, dass Berlusconi wieder ein Einzelfallgesetz wollte; laut Kritikern ein Unfug, denn Gesetze haben allgemein zu gelten. Schon früher hatte Berlusconi „Gesetze ad personam“ zum eigenen Vorteil geschaffen. Er setzte aber auch seine Geringschätzung der Justiz fort und stellt so Gewaltenteilung und Rechtsbewusstsein infrage: Im Fall Eluana gab es nämlich 2008 ein Urteil des Verfassungsgerichts, das, im gesetzlichen Vakuum und nur auf Verfassungsprinzipien gestützt, ihrem Vater erlaubte, die Nahrungssonde bei seiner Tochter zu entfernen. Berlusconi aber stellte sich über das Gericht: Er habe auf die Verfassung geschworen und lege sie korrekt aus – das Urteil führe in die Irre.

Bizarrerweise hatte Italiens Rechte die Richter aufgefordert, auf die Verabschiedung des Gesetzes zur Sterbehilfe zu warten. Darüber aber berät das Parlament seit Jahren.

Die Kirche sekundierte, in solchen Fällen stünden die Rechte der Person (also Eluanas Recht auf Leben) über der Verfassung. Gegen Kritik vor allem Linker und Antiklerikaler, die Kirche mische sich unzulässig in gesetzgeberische Fragen des Staates ein, konterten die Bischöfe: „Wir erlegen niemandem unsere Moral auf, wir melden uns nur zu Wort.“

Berlusconi jedenfalls hatte bereits am Wochenende getobt: „Wenn der Ministerpräsident nicht mal Eildekrete erlassen darf, kann ich gleich heimgehen.“ Er wolle sich die nötige Macht notfalls per Volksentscheid holen und die Verfassung ändern, um sein Ziel eines Präsidialsystems nach Muster der USA zu erreichen. Damit wäre der „störende“ Präsident entmachtet; Berlusconi würde praktisch Alleinherrscher und könnte mit Dekreten, wie er es bisher oft machte, am Parlament vorbeiregieren – was die Opposition an die Anfänge von Diktator Mussolini erinnert. Der „Konflikt der Institutionen“ zwischen Regierungschef, Staatspräsident und Justiz wird wohl weitergehen.

„Sie könnte ein Kind kriegen“

Berlusconi trat in der Causa mit großen Geschmacklosigkeiten hervor: So sagte er, Eluana sei nicht todkrank, ja lebe, denn: „Ihr Menstruationszyklus funktioniert. Sie könnte ein Kind kriegen.“ Diese Dinge rissen Dienstag nicht ab: „L'Avvenire“, das Blatt der Bischöfe, titelte: „Giustizia è fatta“. Das heißt sowohl „Das Urteil ist vollstreckt“ als auch „Da habt ihr eure Gerechtigkeit“. Ein Vertreter der Opposition meinte, der Tod habe Eluana „der Gewalt der Regierung entzogen“.

Eluanas Körper dürfte in Paluzza nahe der Grenze zu Kärnten beerdigt werden. Ihr Vater, Beppino Englaro, der seit zehn Jahren für ihren Tod gekämpft hatte, will derzeit nur Ruhe: „Ich habe alles allein gemacht, keiner soll sich um mich kümmern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2009)

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