Ioan Holender: Mein Cluj

Ioan Holender
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Vor 57 Jahren lebte Ioan Holender für drei Monate als Student in Cluj (Klausenburg). Jetzt erkundete der ehemalige Staatsoperndirektor die Stadt in Siebenbürgen wieder – begeistert.

Als ich mit 22 Jahren aus politischen Gründen von der Universität meiner Geburtsstadt, Timisoara, ausgeschlossen wurde, ist es mir gelungen, im entfernten Cluj – zu deutsch Klausenburg, ungarisch Kolozsvár – unterzuschlüpfen. Ich war glücklich und zutiefst zufrieden, in dieser berühmten Universitätsstadt an der alten, hoch anerkannten Babes-Universität Student zu sein.

Cluj war die einzige europäische Stadt, die neben einer eigenen Nationaloper ein Opernhaus für die – ungarische – Minderheit führte. Beide Opernhäuser unterhielten eigene Ensembles, die in täglichen Vorstellungen ihr Repertoire sowohl in der rumänischen Landessprache als auch in der Minderheitensprache darboten.

Mein Dasein im damaligen – noch von den vorangegangenen Ereignissen dramatisch geprägten – Cluj dauerte jedoch nur drei Monate; so lang, bis mein Kaderdossier der Partei auch die zweitgrößte Stadt Rumäniens erreichte. Dann blieb mir nichts anderes übrig, als mein Überleben mit einer Tätigkeit als Tennislehrer zu sichern.

Umso größer ist nun meine Begeisterung für die Stadt am Fuß des Feleac-Hügels, wo ich nach so vielen Jahren Simona Noja, die Direktorin der Ballettakademie der Wiener Staatsoper, treffe. Sehr offen, tolerant seien die Menschen hier, kritische Denker mit stark ausgeprägtem Identitätsmuster, erzählt mir die ehemalige Primaballerina der Wiener Staatsoper, als wir uns am Platz der Einheit, im Herzen von Cluj, unterhalten. Multikulturalität und Multikonfessionalität zeichnen das Leben in der Stadt aus. Cluj überrascht mit einer Vielfalt an Kirchen, hier existieren verschiedene Religionen nebeneinander, rumänisch-orthodox, reformiert, griechisch-katholisch, römisch-katholisch, baptistisch, unitarisch und jüdisch.

Auch die alte jüdische Synagoge ist wieder ansehnlich hergerichtet, nur die einstigen Gläubigen und ihre Nachfahren gibt es nicht mehr. Denn während der Zeit, als Nordsiebenbürgen mit Cluj durch das Wiener Diktat von 1940 an Ungarn abgetreten werden musste und mit der deutschen Besetzung Ungarns direkt unter ungarische Verwaltung geriet, wurde die jüdische Bevölkerung Clujs nahezu ausgerottet.


Corvinus und Viteazul. Die einstigen tiefen Spannungen zwischen den rumänischen und ungarischen Bewohnern haben sich in der Zwischenzeit gelegt. Das Denkmal von Matthias Corvinus – Symbol der Ungarn – und des rumänischen Nationalhelden Mihai Viteazul strahlen mächtig nebeneinander. Die zwei Opernhäuser kollaborieren freundschaftlich,und die Einwohner unterhalten sich auf den weitläufigen Plätzen und Boulevards in ihrer Muttersprache. Nur die Synagoge ist nahezu ohne Besucher geblieben, und die deutsche Bevölkerung hat das Land verlassen, sobald dies möglich war.

Beide Opernhäuser sind noch in Betrieb, spielen heute aber in Originalsprache. Vor allem das rumänische beeindruckt mit seinen prachtvollen Jugendstilgebäuden nach den Plänen des Wiener Architektenbüros Fellner & Helmer. An der nationalen Staatsoper feierte Simona Noja mit 18 Jahren ihr Debüt und tanzte ihre ersten vier großen Rollen. Später, nach ihrem Sieg bei einem internationalen Tanzwettbewerb, standen ihre alle Türen des Westens offen.

Es ist eine junge Stadt. Das Leben pulsiert. Überall. Die Parks sind wichtige Kultur- und soziale Zentren, in denen sogar Hochzeiten gefeiert werden. Dass ein Viertel der 400.000 Einwohner Studenten sind, prägt den Ruf Clujs als jugendlichste Stadt Europas. Zum multikulturellen Klima tragen auch die 30.000 ausländischen Studierenden an der Babes-Bolyai-Universität bei.

Cluj trägt viele Namen: Kulturstadt, Universitätsstadt, und nächstes Jahr Jugendhauptstadt 2015. Auch um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2021 hat sich Cluj beworben. Art City of the Future darf sie sich jetzt schon nennen– wegen ihres großen Angebots an moderner Kunst. Napoca hieß die Stadt in alter römischer Zeit. Heute heißt sie Cluj Napoca. Und man sollte nicht versäumen, diese Stadt mit all ihrem zeitgenössischen Charme und Habsburger Glanz zu entdecken.

Juvenile Stadt

Die Stadt Cluj-Napoca hat viele Namen: Auf Deutsch heißt sie Klausenburg, auf Ungarisch Kolozsvár. Sie liegt in Siebenbürgen in Rumänien.

Rund 400.000 Einwohner
hat die Stadt. Ein Viertel davon sind Stundeten. Das prägt den Ruf.

Sendereihe: „Kultour“mit Ioan Holender, Samstag, 29.11.2014, 18:25 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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