Saudiarabien: Kultur gegen fromme Gehirnwäsche

(C) Maha Malluh - Edgeofarabia.com
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Künstler machen immer offener Front gegen die Ignoranz und Engstirnigkeit des konservativen religiösen Establishments. Ihr provokanter Kampf ist nicht ungefährlich.

Riad. Kassetten, Kassetten, Kassetten. Kistenweise und in allen Farben hat Maha Malluh sie in ihren hohen Schränken. Sie scheint besessen von den flachen Plastikdingern mit ihren zwei gezackten Drehlöchern. In ganz Riad lässt sie ihre vier erwachsenen Kinder nach immer neuen dieser alten Tonträger fahnden, auf deren braunen, dünnen Bändern für sie das Unglück Saudiarabiens gespeichert ist.

In den Achtzigerjahren begannen die Kassetten den saudischen Markt zu überschwemmen. Jetzt schichtet die Künstlerin sie auf einem breiten Tisch in alte hölzerne Brotstellagen, die sie sich aus Bäckereien besorgt hat. „Nahrung für Gedanken“, heißt der doppelsinnige Titel ihrer Installation.

Ursprünglich waren die Hörkassetten weiß und mit Musik bespielt, erinnert sie sich, die damals noch ins Gymnasium ging. Doch schon bald bemächtigten sich die wahabitischen Prediger des neuen Mediums, um ihre Islamideologie unter das Volk zu bringen. Die erste Welle der religiösen Indoktrination kam in gedeckten Farben, die zweite Welle in kräftigeren Farben, beklebt mit „albernen Cartoons“.

„Mit solchem Essen wurden wir dreißig Jahre lang gefüttert“, sagt die Künstlerin. In ihrem mehr als 200 Quadratmeter großen Kelleratelier mischen sich arabische Chansons mit dem gedämpften Rauschen der zentralen Klimaanlage, die das gesamte Haus nahe dem Diplomatenviertel von Riad von 45 Grad auf erträgliche Temperaturen herunterkühlt. Maha Malluh ist die wohl erfolgreichste Künstlerin Saudiarabiens. Wo immer sie in den letzten Jahren im Ausland ausstellte, wurden sämtliche Werke sofort von Sammlern und Museen gekauft.

Was heute Facebook und Twitter sind, waren vor einer Generation die Kassettenrekorder, die „das Desaster des islamischen Fundamentalismus in unsere Gesellschaft und die ganze Welt getragen haben“, wie sie sagt. In einer Installation hat sie aus weißen und grünen Exemplaren ein Labyrinth gelegt. „Die Fatwa-Kassetten haben uns einen Weg gewiesen, von dem keiner sagen kann, wo er endet“, sagt sie. Für ihre Ausstellung in London ordnete sie die farbigen Minitonbänder so an, dass aus der Distanz die Worte „haram“, „aib“ und „batil“ zu lesen waren, was übersetzt „verboten“, „schändlich“ und „unnütz“ heißt.

Zensur thematisiert

Der Weg in die Ausstellungsräume von Mohammed A. Hafiz und Hamza S. Serafi in der Hafenstadt Dscheddah führt über das unwirtliche Parkdeck der Serafi Mega Mall. Auf zwei Etagen haben sich hier die beiden saudischen Galeriepioniere eingerichtet. Seit 2009 haben sie sich dem verwegenen Projekt verschrieben, in Saudiarabien ein Zentrum für moderne Kunst aufzubauen, das sich auch international sehen lassen kann. Atha nannten sie ihre Galerie, zu Deutsch „Wirkung“, die nahezu ein Unikum im gesamten Königreich ist. „Wir haben angefangen nach Versuch und Irrtum“, lacht Hamza Serafi, ein wuchtiger Mann mit dröhnender Stimme, der alles sammelt, was ihm in die Quere kommt. Weil er sich schon als Kind schwertat mit Zahlen, entließ ihn sein Vater aus der Familienpflicht, Banker zu werden. „Die Kunstszene im Königreich steckt noch in den Kinderschuhen“, sagen die beiden. In den Schulen gebe es keine Kunsterziehung, in den Medien gebe es keine Kunstkritiker, für die Künstler gebe es keinerlei Infrastruktur. Die meisten seien Autodidakten. In Saudiarabien, einer der reichsten Nationen des Globus, fehlen sogar Handwerker, die ein Ölbild oder eine Druckgrafik ordentlich rahmen können.

„Wir sind nicht auf Konfrontation aus, die wir nicht gewinnen können. Wir wollen die Kultur fördern und die Gesellschaft an die Kunst heranführen“, erläutert Mohammed Hafiz, der auch Besitzer einer großen Textilfabrik für Oberhemden und Jeans ist. „Dazu brauchen wir nicht so direkt zu sein wie im Westen. Trotzdem ist unsere Arbeit ein ständiger Eiertanz.“ Und so sprechen die meisten Kunstwerke gesellschaftliche Tabus an, ohne jedoch die Politik des Herrscherhauses infrage zu stellen. Die saudische Fotografin Jowhara al-Saud zum Beispiel zeigte in ihrer ersten Einzelausstellung Familienporträts, aus deren Negativen sie sämtliche Gesichter weggekratzt hat. „Aus dem Rahmen“ nennt die 36-Jährige diese Arbeiten, mit denen sie „die Zensur in Saudiarabien erkunden“ wollte. Ähnliches treibt auch die 21-jährige Basmah Felemban aus Dscheddah um, deren vierteilige Arbeit in der Ausstellung „Die Sprache des menschlichen Bewusstseins“ hängt, die seit Mitte des Jahres in der Atha-Galerie zu sehen ist. Ihre Zeichnungen „zuletzt gesehen“ verschlüsseln einen schon im 12. Jahrhundert verbotenen zärtlichen Austausch zweier Liebender aus der persischen Literatur.

Dazu hat die Künstlerin, die schon zur Biennale nach Venedig und ins British Museum eingeladen war, achteckige „Islamische Sterne“ in geometrische Symbole zerschnitten, diese auf die arabischen Buchstaben weißer iPhone-Tasten aufgeklebt. So transponierte sie den mittelalterlichen Text in eine moderne SMS-Liebesbotschaft, die – auch 800 Jahre später – immer noch verboten ist.

Gegengift gegen geistige Dürre

„Wir als Nation stehen an einer Weggabelung“, ist die Installationskünstlerin Maha Malluh überzeugt, die gern lacht und strahlt, sich jedoch nur mit Kopftuch und ernstem Gesicht fotografieren lassen möchte. Der Einfluss der islamischen Eiferer sei nach wie vor groß. „Ich schätze, es steht fünfzig-fünfzig“, sagt sie. Die eigene kulturelle Identität wiederzuentdecken, Kreativität zu fördern, Filme zu drehen, Tabus zu brechen – für die Aufgeschlossenen der saudischen Gesellschaft ist dies das wichtigste Gegenmittel gegen die islamistische Gehirnwäsche, die ihre Gesellschaft vergiftet, erstarrt, ausgedorrt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2014)

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