NS-Vergangenheit: Neuer Name für Riesenschiff

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Eines der größten Schiffe der Welt, 2013 vom Stapel gelassen, war nach Pieter Schelte benannt, einem bedeutenden holländischen Schiffsbauer, der freilich auch SS-Mann war. Nun wurde es in Pioneering Spirit umgetauft.

Den Haag. Jüdische Organisationen, Gewerkschafter in den Niederlanden und sogar der niederländisch-britische Ölkonzern Shell atmen auf: Ein so ungewöhnliches wie heikles Namensproblem hat sich nämlich vor Kurzem gelöst.

Die Pieter Schelte, eines der größten Schiffe der Welt – es wurde seit 2010 bei Daewoo in Südkorea gebaut und liegt seit Jänner 2015 zur Endausstattung in Rotterdam –, wurde von ihrem Eigentümer, der Schweizer Firma Allseas Marine Contractors, nämlich umbenannt. Denn der anfängliche Namensgeber, der Holländer Pieter Schelte Heerema (1908–1981), war bis 1943 Mitglied der Waffen-SS und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in den Niederlanden wegen Kriegsverbrechen zu drei Jahren Haft verurteilt. Jetzt heißt das Schiff ganz neutral Pioneering Spirit.

Die Geschichte ist hochinteressant: Schelte, ein Schiffbauingenieur, hatte nämlich 1943 sozusagen die Fronten gewechselt und sich dem holländischen Widerstand angeschlossen. Daher wurde er nach seiner Verurteilung schon 1946 vorzeitig freigelassen. Er ging nach Venezuela und initiierte dort technisch bahnbrechende Offshore-Ölförderprojekte. 1961 kam er nach Holland zurück, gründete Heerema Marine Contractors und wickelte damit bis zu seinem Tod technisch bahnbrechende Offshore- und Schiffsbauprojekte ab.

Ein schwimmender Titan

Seine fünf Söhne stritten um das Erbe; einer davon, Edward Heerema, gründete in der Schweiz Allseas, die Firma besitzt Spezialschiffe und ist auf das Verlegen von Pipelines auf dem Meeresboden, den Bau sowie die Demontage von Öl- und Gasplattformen im Meer spezialisiert. Die Pioneering Spirit ist das jüngste Schiff des Unternehmens: Es ist als Katamaran konstruiert, also mit zwei enormen Rümpfen, und mit 382 Metern Länge zwar nicht das längste Schiff der Welt, rangiert allerdings bei anderen Indikatoren auf Rang eins: Mit 124Metern Breite ist es mit Abstand das breiteste Schiff und gemessen an der Gross-Tonnage bzw. Bruttoraumzahl (BRZ) von rund 403.000 mit gewaltigem Abstand das größte.

Die Bruttoraumzahl ist eine dimensionslose Zahl, die die alte Bruttoregistertonne ersetzt hat. Sie bezieht sich, simpel gesagt, auf das Volumen, das mit einem von anderen Schiffsmaßen abhängigen Faktor zwischen 0,22 und 0,32 multipliziert wird. Konkret ergibt sich für die Pioneering Spirit ein Volumen von ca. 1,5 Millionen Kubikmeter. Der Bau kostete 2,4 Mrd. Euro, es hat 570 Mann Besatzung.

Edward Heerema hat lang am Namen seines Vaters für dieses Titanenschiff festgehalten, das Türme von Ölplattformen bis zu einer Masse von 48.000 Tonnen (entspricht fünf Eiffeltürmen) gleich in einem Stück per Kran abnehmen und abtransportieren kann. Nach jüdischen Organisationen haben Gewerkschaften sich den Protesten angeschlossen. Schließlich fand auch Shell den Namen zu heikel, immerhin will der Konzern das Schiff als erstes Unternehmen für die Bergung alter Ölplattformen in der Nordsee einsetzen. Also übte Shell Druck auf Heerema aus, um den Namen des Superkatamarans zu ändern: „Die Namensgebung ist zwar Sache von Allseas, aber es ist auch Sache von Allseas, das rechtfertigen zu können“, hieß es.

Auschwitz-Gedenken

So lenkte Heerema ein, denn obgleich seinem Vater zweifellos als Pionier der Offshore-Förderindustrie Lorbeeren zustehen, war die Namensgebung dennoch politisch-historisch zweifelhaft. Wie hielt die „Financial Times“ fest: „In dem Jahr, in dem wir den 70.Gedenktag der Befreiung von Auschwitz begehen, ist es keine gute Idee, ein Schiff nach einem toten Nazi zu benennen.“ (htz./wg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2015)

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