Für ein paar tausend Lira: Wie Türken syrische Bräute kaufen

Women sit on back of pick-up truck as they stop on Shamiya Front fighters checkpoint in Al-Ansari neighborhood of Aleppo
Women sit on back of pick-up truck as they stop on Shamiya Front fighters checkpoint in Al-Ansari neighborhood of AleppoREUTERS
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In der türkischen Stadt Reyhanli an der Grenze zu Syrien verkaufen verzweifelte Flüchtlinge ihre Töchter – oft als Zweit- oder Drittfrauen, obwohl die Vielehe in der Türkei verboten ist.

Sein Handy fällt in die Kategorie Uralt-Modell, ein graues Gerät mit winzigen Tasten und einem brüchigen Bildschirm, der die Aufnahmen matt und unscharf wiedergibt. Sein Handy klingelt, und die Stimme wird lauter, er ist aufgebracht, als er sich auf Arabisch mit dem Anrufer unterhält. Aus dem Hörer lärmt es zurück. „Zwei Mädchen“, sagt der Mann nach dem Auflegen. Er tippt in sein altersschwaches Handy, wieder ein Telefonat, diesmal auf Türkisch. „Wo seid ihr? Die Mädchen warten! Beeilt euch.“ Er seufzt und schüttelt den Kopf, vor ihm auf dem Beistelltisch dampft starker Mokka aus einer dünnen Tasse, es riecht nach Kardamom.

„Keine Namen“, sagt der Mann. Er trägt ein weißes Hemd, ein blauer Pullunder überspannt seinen runden Bauch, dichtes, weißes Haar, ein stolzer Schnurrbart. Er habe Probleme mit seinen Beinen, das Alter eben. Die Staatsanwaltschaft, klagt der Mann, klebe an ihm wie ein Klettverschluss. Er wolle Ruhe haben, sich zurückziehen, aber die Leute würden pausenlos bei ihm anrufen und nach Frauen fragen. „Wie vorhin! Die zwei Mädchen warten seit Stunden auf die Männer, aber die haben sich offenbar verspätet.“ Es sei das erste Treffen. Sofortige Hochzeit nicht ausgeschlossen.

Der Mann sieht sich als Partnervermittler, Frauenhandel beschreibt sein Tun aber eher. Denn hier, in seinem Wohnzimmer mit dem niedrigen, roten Diwan und dem ächzenden Ofen in der Raummitte, zeigt der syrische Bürgerkrieg eine seiner vielen hässlichen Fratzen. Seit Beginn des Konflikts habe der Mann über 100 syrische Frauen an Türken vermittelt. Als Gegenleistung erwarte er ein Zeichen von Dankbarkeit, eine Summe, die der Bräutigam selbst bestimmen dürfe. Voraussetzung sei das aber nicht: „So viele haben sich nicht erkenntlich gezeigt.“

Von seiner Ortschaft nahe der südtürkischen Stadt Reyhanli könnte der Mann hinüber nach Syrien spazieren, so nah ist die Grenze. Früher, vor dem Konflikt, habe er das auch oft gemacht, auf der Suche nach Frauen, die in die Türkei heiraten wollten. Er habe sich um die Papiere gekümmert und um die Überfahrt der Bräute, heute falle aber beides weg, denn die meisten Frauen seien ohnehin in die Türkei geflüchtet. Für die Vermählung brauche man nur mehr einen Imam.

Den Familien, die zu dem Mann kommen, hat der Bürgerkrieg die Existenz zermalmt. Gebrochen und ausgehungert würden sie vor seiner Tür stehen und ihre Frauen und Mädchen herzeigen. „Das Brautgeld“, sagt er, „hält die Familien eine Zeit lang über Wasser.“ Je nach Alter und Schönheit werden ab 3000 türkische Lira (rund 1000 Euro) für die Frauen bezahlt, er habe auch vermögende Männer erlebt, die einen Beutel mit 10.000 Lira auf seinen Beistelltisch geknallt hätten.

Oft seien die Syrerinnen als Zweit- oder Drittfrauen vorgesehen, obwohl die Vielehe in der Türkei verboten ist. Oft wollen ältere Männer viel jüngere Frauen. Gefügige und schutzlose Mädchen. Minderjährige, sagt der Mann verlegen, habe er nie vermittelt. Wohl im Wissen, dass aber genau das tagtäglich in den Grenzregionen passiert. Allein in Reyhanli kenne er 20 bis 30 Männer, die, wie er, Frauen zum Heiraten quer durch die Türkei schicken.


Brautgeld. Die knapp 90.000-Seelen-Stadt Reyhanli in der Provinz Hatay ist mit dem Beginn des syrischen Bürgerkrieges in ein wüstes Durcheinander geraten. Flüchtlinge haben sich hierher gerettet, die Einwohner sind in Scharen weggezogen, Mietpreise sind in die Höhe geschnellt. Vor den Garageneinfahrten stehen erbärmliche Zelte, in denen syrische Familien hausen, andere wohnen in unfertigen Bauten und Wellblechhütten. Vor rund zwei Jahren wurde in Reyhanli ein Terroranschlag verübt, mindestens 51 Menschen starben. Die Hintergründe sind noch unklar, geblieben sind jedenfalls eine niedergeschlagene Stadt und eine tiefe Kluft zwischen den Flüchtlingen und Einwohnern. Syrer dürften mittlerweile die Mehrheit der Stadtbewohner ausmachen.

In seinem Handy sind die Fotos der Frauen gespeichert, er zeigt diejenigen, die gerade „suchen“. Eine Frau mit schwarzem Kopftuch lächelt in die Kamera, eine Mittdreißigerin mit braunen, kinnlangen Haaren hat ein Selfie geschickt, eine andere sitzt in einem Café und trinkt etwas mit Schlagobers-krone. Grüne und blaue Augen sind bei türkischen Männern besonders beliebt, sagt der Mann. Wenn sie ihn anrufen, bestehen sie auf arabische Frauen. „Türkinnen sind denen zu mühsam. Die können abhauen oder arbeiten gehen. Die folgen nicht.“

Die türkische Ärztekammer hat kürzlich vor den Folgen dieser Zwangsverheiratungen gewarnt, Frauenorganisationen schlagen längst Alarm. Sozialarbeiter berichten von grausamen Fällen, etwa dass die Flüchtlinge ihre Miete nicht zahlen können und stattdessen ihre Töchter hergeben müssen. „Unser Land hat sich noch immer nicht ganz von dem Übel des Brautgeldes befreien können, und dass jetzt syrische Frauen verkauft werden, lässt unser Gewissen bluten“, heißt es in der Stellungnahme einer Frauenorganisation. Was das Thema Kinderbräute betrifft, haben Aufklärungskampagnen sowie die rege Medienberichterstattung in den vergangenen Jahren für eine Sensibilisierung in der Öffentlichkeit gesorgt. Mit der Lage der syrischen Flüchtlinge wird das Thema erneut virulent. Ein Teufelskreis.

Justiz. „Was wollen alle eigentlich von mir?“, sagt der Mann, angesprochen auf sein Gewissen, auf seinen Handel mit Menschen. Der Präsident seines Landes drehe krumme Dinger, die Banken würden eine Show abziehen, aber stattdessen beschäftige sich die Justiz lieber mit ihm, dem kleinen Mann, dem für eine Heiratsvermittlung verzweifelter Flüchtlinge 50 oder 100 Lira in die Hand fallen würden. Die letzte Frau, die er an einen Mann aus Anatolien versprochen habe, sei nach der ersten Begegnung abgehauen, samt Geld und Gold. Der betrogene Bräutigam habe ihn angezeigt, seitdem läuft ein Verfahren gegen ihn. „Nun bin ich vorsichtig“, sagt der Mann, „ich jage jetzt die Familien fort, die neu kommen.“

In einer Ecke des Wohnzimmers hat seine Tochter im Teenageralter die Knie angewinkelt und sitzt auf den Fersen. Sie trägt modische Jeans und ein grellgelbes Kopftuch, ihrem Vater ist sie wie aus dem Gesicht geschnitten. „Sie hasst das, was ich tue“, sagt der Mann. Könne sein, dass er im Gefängnis lande. Alt sei er, da erwarte er ohnehin nicht mehr viel vom Leben.

Als der Mann zwei Frauen nach Istanbul verheiratet hatte, erfuhren die Nachbarn, dass die beiden aus Syrien stammten. Prompt kamen neue Anfragen nach Reyhanli, so vermittelte er insgesamt neun Frauen in dasselbe Istanbuler Viertel. Und die Männer, die ihn damals angerufen hatten, haben das große Geld gewittert und würden nun dasselbe machen.

Es ist zu einem Schneeballeffekt geworden. Noch mehr Seelen, die mit Seelen handeln.

Bürgerkrieg

Seit Beginn des Konflikts in Syrien haben sich rund 1,6 Mio. Flüchtlinge in die Türkei gerettet, wobei die eigentliche Zahl weit höher liegen dürfte. Neben vielen Problemen wie sinkende Lohnkosten und mangelnde Unterbringung beschäftigt der Menschenhandel die türkischen Behörden. Frauen- und Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm und warnen vor den Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2015)

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