Das Massensterben der Olivenbäume

(c) EPA (Simela Pantzartzi)
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In Apulien, dem Land zwischen Sporn und Absatz des Stiefels, wird mehr als eine Million uralter Olivenbäume gefällt. Schuld, jedenfalls teilweise, ist ein Bakterium aus Amerika, das zu einer Gefahr für ganz Europa werden könnte.

Zuerst sollten es nur einige hundert sein. Dann ein paar tausend. Und jetzt mehr als eine Million – Olivenbäume nämlich, die umgeschnitten werden. Anfangs sollte die Axt nur einige Olivenhaine treffen, dann erweiterte man auf eine zu rodende Pufferzone von einem Kilometer Breite. Und nun hält Italiens Katastrophenschutz sogar einen Cordon sanitaire von bis zu 15 Kilometern Breite für notwendig. Grund: ein Bakterium namens Xylella fastidiosa, das Feuerbakterium, das sich in Apulien ausbreitet, dort vor allem Olivenbäume zerstört und droht, sich auf ganz Italien, ja Europa, auszubreiten.

Das bedeutet Kahlschlag, quer über die gesamte Salento-Halbinsel hinweg, den Absatz des italienischen Stiefels. Es ist ein Umweltdrama. Und ein menschliches Drama in einer Gegend, in der tausende Familien vom Olivenanbau leben. Es bedeutet die Vernichtung eines historisch gewachsenen Landschaftsbilds: Der Salento ist geprägt von seinen teils jahrhundertealten, von Wind und Zeit zu knorrigen Skulpturen geschnitzten Olivenbäumen. In der Identität, im Gefühl der Apulier stellen diese Bäume so etwas wie Heimat dar. Die geht jetzt in Axt und Flammen verloren – wegen eines Bakteriums, gegen das alle anderen Mittel versagen.

Man hat es dem Killer leicht gemacht

Wobei: So einfach wie die offizielle Erklärung ist die Sache nicht. Der neue, dritte Bericht über Italiens „Agromafia“ zeigt, wie der Salento von vielen Geschäftsinteressen attackiert wird: von Hotelketten, die sich Platz freihacken in uralten, nur rechtlich, nicht faktisch geschützten Olivenhainen; von der öffentlichen Hand, die breite Straßen quer durch die Landschaft schlägt; von der Müllmafia, die Gift aus ganz Europa dort versenkt, wo sie will. Und immer wieder schreiben apulische Lokalzeitungen über viele Hektar Olivenbäume, die – illegalerweise – lukrativeren Fotovoltaikanlagen weichen müssen, und über Plantagen, die mit übermäßigem Einsatz von Pestiziden „saniert“, mit verbotenem Klärschlamm „gedüngt“, in Wahrheit aber so geschwächt werden, dass Xylella fastidiosa am Ende leichtes Spiel hat.

Jedenfalls hat sich das im Herbst 2013 hier erstmals in Europa aufgetauchte Bakterium (man hatte es in den 1890ern auf Weinstöcken in Kalifornien entdeckt) schneller verbreitet als angenommen, und dadurch, dass es sich nicht mit Ölbäumen begnügt, sondern auf praktisch alle Obstpflanzungen überspringen kann, stellt es in den Augen der EU-Kommission eine akute Bedrohung für Europas Landwirtschaft dar. Italiens Regierung rief den Notstand aus und ließ unter den Tränen der Bauern dieser Tage die Maschinen auffahren: für den Kahlschlag, für das traurige Ende die Planierraupen.

Der Sonderkommissar der Regierung, Giuseppe Silletti, erklärt den Zeitpunkt des Zugreifens damit, dass Xylella von einer kleinen Zikadenart übertragen werde: „Wir müssen handeln, bevor die im Frühjahr aus den Eiern schlüpfen.“ Er wirft aber auch den Bauern vor, die Pflege der Haine unterlassen zu haben, das Durchlüften des Bodens sowie das Entfernen von Blattwerk und Zweigen, in denen sich die jungen Zikaden wohlfühlen. Die Region Apulien rät zu einer Attacke mit Pestiziden – aber die sind nach Befürchtung von Bauernverbänden und Umweltkomitees „gefährlicher als Xylella selbst“.

Wenn Welthandel tötet

Die Bakterie, so schreibt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in ihrem eilends erstellten Forschungsbericht, ist ein illegaler Einwanderer. Die Tatsache, dass die apulische Variante zuvor nur auf Oleanderpflanzen in Costa Rica entdeckt worden ist, lasse darauf schließen, dass Xylella mit dem weltweiten Handel von Zierpflanzen verbreitet worden sei. In Amerika kennt man Xylella schon länger: Da hat sie sich über Weinberge in Kalifornien ebenso hergemacht wie über brasilianische Zitrusplantagen – Gewächse, die auch in Italien eine große Rolle spielen. Und wo das Bakterium zubeißt, gibt's kein Halten mehr: Da vertrocknen die Blätter, die Pflanze geht ein.

Das Problem ist nur, darauf weist der 262-seitige Bericht der EFSA hin: Nicht alle befallenen Pflanzen zeigen Symptome; jede kann zum stillen Infektionsherd werden. Und dann gibt die Behörde, auch wenn sich Sonderkommissar Silletti „Streitigkeiten und abweichende Meinungen“ verbittet, den Kritikern der apulischen Radikalkur recht: Kahlschläge hätten weder in Brasilien noch in Taiwan etwas gebracht. „Gerade bei einem großen Ausbruchsgebiet erwischt man nie alle befallenen Pflanzen.“

Es sieht nicht gut aus

Im Prinzip müsste man alle möglichen Wirte von Xylella ausrotten, also nicht nur Oliven, sondern die meisten Nutz- und Zierpflanzen, und viele Insekten gleich mit: „Alle, die Pflanzensaft saugen, können Überträger sein“, hält die Studie fest. Sprich: Xylella beizukommen ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Für Italien löst die Bakterie die zweite identitätsbedrohende Pflanzenkatastrophe binnen weniger Jahre aus. Ein Rüsselkäfer hat von Sizilien bis San Remo zehntausende Palmen zerstört und nagt weiter. Manch klassische Strandpromenade ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Und zu Palmsonntag müssen die Kirchgeher ohne ihre traditionellen Gebinde auskommen: Das Risiko, mit den friedenverheißenden Olivenzweigen Xylella landesweit zu verbreiten, ist zu groß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2015)

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