Die letzten Minuten des Todesflugs

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Wie Staatsanwalt Brice Robin das Drama an Bord der abgestürzten Germanwings-Maschine rekonstruierte und schilderte.

Paris/Marseille. Der Voicerecorder des Fluges 4U9525 ist ausgewertet, die aufgezeichneten Geräusche und Gespräche sind zugeordnet. Und damit liegt auch eine Erklärung vor, warum der Airbus320 der Germanwings mit 150 Insassen an Bord nach achtminütigem Sinkflug an einem Bergmassiv in den südfranzösischen Alpen zerschellt ist. In nüchternen präzisen Worten fasste der französische Staatsanwalt Brice Robin den Albtraum in einer Pressekonferenz zusammen. Der Kopilot, der 27-jährige Andreas L., habe absichtlich den Bordkapitän aus dem Cockpit ausgesperrt, dann willentlich per Knopfdruck den Sinkflug eingeleitet und auf keine Warnungen der Bodenkontrolle und Alarmsignale reagiert. „Er hatte den Vorsatz, das Flugzeug zu zerstören“, schloss Robin aus den Tonaufzeichnungen des halbstündigen Todesfluges.

In den letzten Minuten vor dem Crash spielte sich ein Drama an Bord der Maschine ab. Staatsanwalt Robin schildert die Szenen, die sich im Cockpit ereignet haben: Zu Beginn sei der Flug völlig normal verlaufen, die beiden Piloten hätten in lockerem Ton Freundlichkeiten ausgetauscht. Das übliche Geplaudere. Als jedoch der Bordkommandant Patrick S. beim Briefing mit seinem jungen Kollegen die bevorstehende Landung in Düsseldorf besprach, klang der Kopilot in seinen Antworten merkwürdig „lakonisch“.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Airbus-Maschine des Flugs 4U9525 die normale Flughöhe erreicht. Der Kapitän schaltete die automatische Steuerung ein, dann überließ er dem Kopiloten das Kommando. Auf dem Voicerecorder sei deutlich zu vernehmen, wie er von seinem Sitz aufsteht und das Cockpit verlässt, dessen Tür sich automatisch verriegelt, berichtet Brice. „Der Kopilot ist allein im Cockpit, als er auf dem Flight-Monitoring-System den Sinkflug der Maschine in Gang setzt. Das kann nur eine willentliche Handlung sein.“

„Andreas, mach diese Tür auf!“

Danach hört man den Bordkommandanten, der mehrfach Einlass in die Pilotenkabine verlangt. Der Kopilot antwortet nicht. Man hört aber bis zum Schluss sein Atmen. Er lebte also. „Es ist ein schweres, aber normales Atmen, nicht ein Keuchen wie eventuell bei einem Infarkt.“

Für Staatsanwalt Robin gibt es keine andere Erklärung als die Absicht, das Flugzeug abstürzen zu lassen. Andreas L. habe vorsätzlich den Bordkommandanten nicht eingelassen, auf keine Funkkontakte der Bodenkontrolle geantwortet und auf keine Alarmsignale reagiert.

In den letzten acht Minuten vor dem Aufprall wird im Cockpit aber kein einziges Wort gesprochen. Von draußen kommt der verzweifelte Ruf: „Andreas, mach diese Tür auf!“ Ganz zuletzt seien auf der Tonaufzeichnung auch Schreie zu vernehmen, so Brice Robin. Die übrigen Besatzungsmitglieder und vor allem die Passagiere hätten wohl erst kurz vor dem Crash gemerkt, was geschah. „Alle waren bei der Kollision mit dem Berg bei einer Geschwindigkeit von 700 Stundenkilometer sofort tot“, sagte der Staatsanwalt zum tragischen abrupten Ende des Flugs.

Vom Opfer zum Mordverdächtigen

Er hat eine gerichtliche Untersuchung zur Katastrophe wegen „fahrlässiger Tötung“ eingeleitet. Aufgrund der neuen Erkenntnisse wird er prüfen, ob man jetzt nicht eher von einem vorsätzlichen Verbrechen ausgehen muss. Dringend angewiesen ist er dabei auf die Informationen aus Deutschland über den persönlichen und beruflichen Hintergrund des Kopiloten, dessen Angehörige seines Wissens zusammen mit Familien von Opfern der Katastrophe in Frankreich eingetroffen sind.

Man kann sich vorstellen, wie die Angehörigen von L. doppelt schockiert sein müssen. Er verwandelte sich innerhalb weniger Stunden vom Opfer einer Tragödie in einen Mordverdächtigen. Das Magazin „Paris-Match“ publizierte schon vor Robins Pressekonferenz ein Foto, auf dem man Andreas L. vor der Golden Gate Bridge in die Kamera lächeln sieht.

Angehörige am Unglücksort

Weiterhin wird auf dem Trümmerfeld am Absturzort der zweite Flugschreiber, die Black Box mit den registrierten technischen Parametern, gesucht. Seit Mittwoch haben die Einsatzkräfte begonnen, die ersten sterblichen Überreste zu bergen. Staatsanwalt Robin konnte vor den angereisten Familien wenigstens bestätigen, dass dank Vergleichen mit DNA-Proben der Hinterbliebenen an der Identifizierung gearbeitet werde. Am Donnerstag wurden die Familien der Opfer per Bus in die Nähe der Unglücksstelle in den Bergen zwischen Digne-les-Bains und Barcelonnette gefahren.

FAKTEN

Der Airbus 320 der deutschen Lowcost-Gesellschaft Germanwings ist am Dienstag mit einer Reisegeschwindigkeit von rund 890 km/h in eine Flanke des Massif des Trois-Évêchés in den Alpen – rund 100 Kilometer nördlich von Nizza – geflogen und zerschellt. Der Airbus hat sich in einem acht Minuten langen Sinkflug befunden, der vom Ko-Piloten der Maschine absichtlich herbeigeführt worden ist. An Bord befanden sich 150 Personen, hauptsächlich Deutsche und Spanier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2015)

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