Flüchtlinge: EU wird von der Realität eingeholt

The 'Door of Europe' monument, which commemorates migrants who died on their journey, is seen on the southern Italian island of Lampedusa
The 'Door of Europe' monument, which commemorates migrants who died on their journey, is seen on the southern Italian island of Lampedusa(c) REUTERS
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Die Operation „Triton“ der EU wurde nicht als Rettungseinsatz konzipiert, sondern sollte der Grenzsicherung dienen – angesichts des Flüchtlingsdramas im Mittelmeer ein inadäquater Ansatz.

Brüssel. Die Emotion war verständlich, die Stoßrichtung der Kritik hingegen weniger: Die EU sei mitschuldig an dem Tod hunderter Menschen im Mittelmeer, da sie das italienische „Mare Nostrum“-Hilfsprogramm habe auslaufen lassen, warf Amnesty International der Union nach der jüngsten Flüchtlingstragödie vor der libyschen Küste vor wenigen Tagen vor – ein Vorwurf, der nicht ganz den Tatsachen entspricht, denn nicht Brüssel, sondern Rom hatte Ende 2014 die Mission beendet. Und zwar aus Kostengründen, denn die Rettungsoperation der italienischen Marine kostete pro Monat rund neun Mio. Euro.

Mit dem Beginn der Flüchtlingssaison im Mittelmeer zeigt sich allerdings, dass die EU-Nachfolgemission „Triton“, die unter der Ägide der europäischen Grenzschutzagentur Frontex stattfindet und folglich nicht als Rettungs-, sondern als Grenzsicherungseinsatz deklariert ist, inadäquat ist – kein Wunder angesichts der Tatsache, dass sie nicht neun, sondern nur drei Mio. Euro kostet. Die Wunschvorstellung vieler Entscheidungsträger, mit der Verkleinerung des Aktionsradius würde auch der Strom der Flüchtlinge versiegen, hat sich als naiv herausgestellt. Experten rechnen für heuer mit einer neuen Rekordzahl von Bootsflüchtlingen – allein in der vergangenen Woche wurden rund 10.000 Menschen aus Seenot gerettet.

Damit wird der zu Recht betroffenen Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass der europäische Umgang mit Flüchtlingen nicht zeitgemäß ist. Das Problem: Der Umgang mit Asylwerbern ist Sache der Mitgliedstaaten – gemäß der Dublin-Verordnung von 2003 darf der Neuankömmling nur dort einen Asylantrag stellen, wo er erstmals den EU-Boden betreten hat. Im Klartext bedeutet das, dass jene EU-Mitglieder, die eine Außengrenze haben, für die Betreuung der Asylwerber zuständig sind – wobei Länder wie Schweden und Deutschland nichtsdestotrotz überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufnehmen. Schätzungen zufolge finden rund 80 Prozent der Asylwerber in nur sechs EU-Ländern Zuflucht. Eine gesamteuropäische Strategie wäre somit dringend nötig. Die EU-Kommission will im Mai ein Strategiepapier zur Flüchtlingspolitik präsentieren. Dem Vernehmen nach wird unter anderem über eine Aufstockung der Frontex-Ressourcen nachgedacht, sowie über Möglichkeiten zur legalen Migration aus Krisengebieten nach Europa.

Aufteilungsschlüssel für Flüchtlinge?

Ein heikler Punkt ist indes der Aufteilungsschlüssel für Flüchtlinge, den sich unter anderem die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wünscht. Dabei geht es um eine systematische Verteilung der Neuankömmlinge auf alle EU-Mitglieder – nach welchem Schema, ist allerdings nicht klar. EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans hatte diesem Ansinnen im März mit den Worten „wir wollen nicht das gesamte System umkrempeln“ eine Absage erteilt. Ob er angesichts der Entwicklungen im Mittelmeer seine Meinung geändert hat, wird sich in wenigen Wochen weisen. (la)

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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