Ostafrika: Warum so viele Menschen aus Eritrea flüchten

Flüchtlinge aus Eritrea
Flüchtlinge aus Eritrea(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Nach den Syrern haben Eritreer die höchste Asylanerkennungsrate in der EU. Sie fliehen vor Arbeitslosigkeit und einem unbegrenzten Militärdienst.

Wien. Wäre der blutige Bürgerkrieg in Syrien nicht, hielte der kleine ostafrikanische Staat Eritrea einen traurigen Rekord. Nach den Syrern haben Flüchtlinge aus Eritrea mit 80Prozent die höchste Anerkennungsrate in der EU. 47.000 Eritreer sind 2014 nach Europa gekommen, viele in maroden Booten über das Mittelmeer – eine riesige Zahl für ein Land von nur sechs Millionen Menschen.

Dabei herrscht in Eritrea kein Krieg, anders als in Syrien oder Somalia, einem weiteren Spitzenreiter in der Flüchtlingsstatistik. Es sind andere Gründe, die die Menschen aus dem Land und in die Hände von Schlepperbanden treiben. Der Österreicher Christian Manahl, EU-Botschafter in Eritrea, nennt vor allem zwei Ursachen: hohe Arbeitslosigkeit und einen unbegrenzten „nationalen Dienst“. Letzterer umfasst den Militärdienst, der offiziell auf 18Monate beschränkt ist, aber auch zivile Aufgaben. Wie lang man als Bürger Eritreas auf diese Weise seinem Land dienen muss, ist vorher de facto nicht absehbar, es kann Jahre oder auch Jahrzehnte dauern. Und das alles für „ein Taschengeld“, wie Manahl sagt.

„Keine Hoffnung für die Zukunft“

Hinzu kommt die Menschenrechtslage. Erst im März sprach eine UN-Untersuchungskommission von „sehr klaren Mustern“ des Missbrauchs und der Menschenrechtsverletzungen, von tagtäglicher Folter, willkürlichen Festnahmen, unmenschlichen Haftbedingungen. Den Mitgliedern der Kommission wurde die Einreise nach Eritrea verweigert, sie verließen sich auf Aussagen vom hunderten Vertretern der Diaspora. Fazit der UNO-Experten: „Die meisten Eritreer haben keine Hoffnung für die Zukunft.“

Auch EU-Botschafter Manahl räumt ein, dass es Menschenrechtsverletzungen gibt. „Die grundlegenden politischen Rechte sind sehr beschränkt, Pressefreiheit ist nicht vorhanden.“ Aber die Situation habe sich in den vergangenen Jahren verbessert. Die Menschenrechtslage werde teilweise übertrieben dargestellt: aus politischen Gründen von der Opposition, aus finanziellen Gründen auch aus dem Umkreis der Schlepperbanden. Denn eine schlimme Lage bedeute eine hohe Anerkennungsrate für Flüchtlinge – und so ein gutes Geschäft für die Schleuser.

Über Jahre hat das Regime von Präsident Isaias Afewerki die Auswanderung gebilligt. Schließlich profitiert das Land auch finanziell davon, und zwar nicht nur wegen der Geldzahlungen der Flüchtlinge an ihre Familien zu Hause. Das Regime treibt von seinen im Ausland lebenden Bürgern auch regelmäßig eine zweiprozentige Einkommensteuer ein – ungeachtet aller internationalen Kritik daran. Doch inzwischen sieht auch die Regierung, dass der ständige Verlust von Talenten und Arbeitskräften dem Land mehr schadet als nützt. Diese habe deshalb angekündigt, den „nationalen Dienst“ definitiv auf 18Monate zu begrenzen, um die Auswanderung einzudämmen, sagt Manahl. Dann werde auch die Anerkennungsrate sinken. Und vielleicht auch die Zahl der Flüchtlinge.

Politisches Dilemma

Im Kampf gegen die Schlepper steht die EU in Ostafrika vor einem Dilemma. Viele Boote starten von Libyen aus, einem unregierten Land im Bürgerkrieg. Dort kann man den Banden kaum etwas entgegensetzen. Die Route führt über den Sudan. Khartum müsse bereit sein, härter gegen Schlepper vorzugehen, sagt Manahl. Sudans Regierung ist international geächtet, Präsident Omar al-Bashir wird vom Strafgerichtshof in Den Haag wegen Völkermords gesucht. Und doch: „Wenn man nicht mit dem Sudan kooperiert, wird es schwierig, das Problem zu lösen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2015)

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