Baltimore: Wenn Wut in Aggression umschlägt

Ausschreitungen in Baltimore
Ausschreitungen in BaltimoreREUTERS
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Seit dem Tod des Afroamerikaners Freddie Gray nach dessen Verhaftung treten soziale Probleme in Baltimore gewaltvoll an die Oberfläche.

Es ist Wut, es ist Verzweiflung, es ist Aggression, die Baltimore erneut eine durchwachte Nacht beschert haben. Seit dem Tod des 25-jährigen Freddie Gray ist in der US-amerikanischen Stadt der Frieden dahin. Die Spuren der Gewalt sind kaum zu übersehen. Freiwillige begannen mit Aufräumarbeiten, Ladenbesitzer kehrten in ihre Geschäfte zurück, um das Ausmaß der Schäden zu prüfen.

"Das ist, was passiert, wenn man ein Tier in eine Ecke drängt", sagt der 22-jährige Afroamerikaner Jenghis gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, der mit einem Skateboard in der Hand durch die Straßen zieht, um das Ausmaß der Unruhen zu sehen. Die Polizei müsse endlich ihren Umgang mit Schwarzen in den Griff bekommen. "Rassismus ist hier ein verdammtes Polizeiproblem." Neben ihm steht sein weißer Freund Colin und schaut nachdenklich in Richtung der Uniformierten. Grays Tod habe gezeigt, dass der Polizei das Gesetz egal ist - und nun brennen die Polizeiautos.

Altersheim angezündet

Im Westen der Stadt wurde am Montag und in der Nacht zum Dienstag geplündert, was das Zeug hält. Die Randalierer bewarfen die Polizei mit Steinen und Flaschen oder griffen mit Stöcken an, zündeten mehrere Autos an und demolierten Polizeiwagen. Immer wieder Glasscherben am Boden, zertrümmerte Fensterscheiben, leere Ladenregale. Vermummte Gestalten huschen durch die Gassen der Ostküstenstadt. Ein großes Gebäude im Osten der Stadt ging in Flammen auf - ein neu errichtetes kirchliches Altersheim. 15 Polizisten wurden verletzt, zwei von ihnen wurden in ein Krankenhaus gebracht. 27 Menschen wurden festgenommen.

Krawalle in Baltimore
Krawalle in Baltimore REUTERS

Ausgangssperre in der Nacht

Der Schulunterricht fiel am Dienstag in der ganzen Stadt aus und städtische Behörden blieben geschlossen. Der Gouverneur des Bundesstaates Maryland, Larry Hogan, ließ eine Ausgangssperre verhängen. Sie gilt zwischen 22 Uhr und 5 Uhr und trete am Dienstagabend Ortszeit (Mittwoch 4 Uhr unserer Zeit) in Kraft. "Die heutigen Plünderungen und Gewalttaten in Baltimore werden nicht toleriert", sagte er.

Baltimores schwarze Bürgermeisterin ist entsetzt: "Zu viele Menschen haben über Generationen diese Stadt aufgebaut, um sie von Rowdys zerstören zu lassen", sagte Stephanie Rawlings-Blake und ruft die Nationalgarde um Hilfe. Bei Bedarf werde das nächtliche Ausgehverbot verlängert, betonte sie. Der Polizeichef von Maryland, William Pallozzi, veranlasste, dass bis zu 5500 Beamte aus Maryland und Umgebung die Polizei in der Ostküstenstadt unterstützen. Die Nationalgarde teilte mit, dass 5000 Beamte für einen Einsatz in Baltimore bereitstünden.

Kriminelle Banden kündigten Gewalt an

Der Fall Freddie Gray ist der letzte in einer Reihe von Polizeigewalt-Fällen, der das Fass nun wieder einmal zum Überlaufen brachte. Es muss allerdings deutlich zwischen den friedlichen Protesten und den nächtlichen Krawallen unterschieden werden.

Trauerfeier für Freddie Gray
Trauerfeier für Freddie GrayAPA/EPA/MICHAEL REYNOLDS

Über soziale Netzwerke verbreitete Botschaften legten den Verdacht nahen, dass kriminelle Banden hinter den Krawallen steckten. Die Polizei hatte vor den Krawallen erklärt, es gebe "eine glaubwürdige Drohung", dass die Banden eine "Partnerschaft" eingegangen seien, um die Polizei herauszufordern.

"Das Leben von Schwarzen zählt"

Zu der Trauerfeier für Gray versammelten sich rund 3000 Menschen in einer Kirche im ärmlichen Viertel Sandtown. An die Kirchenwand wurden die Worte "Das Leben von Schwarzen zählt und alle Leben zählen" projiziert. "Wir sind hier wegen Freddie Gray, aber wir sind auch hier, weil es viele Freddie Grays gibt", sagte der Anwalt der Familie, William Murphy, bei der Zeremonie.

Der Fall Freddie Gray

Der Afroamerikaner Freddie Gray war am 19. April - eine Woche nach seiner Festnahme - an schweren Rückenmarksverletzungen gestorben. Die genauen Umstände sind unklar. Auf Videos ist zu sehen, wie Polizisten Gray zu Boden drücken, bevor sie den vor Schmerz schreienden jungen Mann zu einem Polizeibus schleifen. Kurz darauf fiel er im Krankenhaus ins Koma.

Trug die Polizei die Schuld an der Rückenmarkverletzung, die Tage nach Grays Festnahme zu dessen Tod führte? Sicher ist, dass das Misstrauen zwischen Afroamerikanern, die 63 Prozent der Bevölkerung von Baltimore ausmachen, und den überwiegend weißen "Cops" tief sitzt.

Nach seinem Tod des jungen Mannes gab es täglich Proteste in Baltimore, bei denen die vollständige Aufklärung von Grays Tod gefordert wurde.

Die Behörden leiteten eine Untersuchung in dem Fall ein, sechs Polizisten wurden suspendiert.

Ein Leben in Armut ohne Perspektive

Pastor Jamal Bryant, der die Grabrede hielt, hob hervor, dass Grays Familie sich gegen Proteste am Tag der Beerdigung ausgesprochen habe. "Ich rufe jeden jungen Menschen auf, nach Hause zu gehen", sagte Bryant vor Journalisten.

Der afroamerikanische Bürgerrechtsaktivist Jesse Jackson beklagte auf einer Pressekonferenz vor der Trauerfeier eine "Epidemie der Morde" in den USA. "Armut ist eine Massenvernichtungswaffe", warnte Jackson.

Einige fühlen sich an die Krawalle von 1968 erinnert, die Baltimore nach der Ermordung des schwarzen Baptistenpredigers und Bürgerrechtlers Martin Luther King eine Woche ins Chaos stürzten. Die Nationalgarde steht wie damals bereit, um die Ausschreitungen notfalls mit schweren Geschützen in den Griff zu bekommen. 

Ferguson und Baltimore

Gray könnte das jüngste Opfer in einer Serie von Fällen tödlicher Polizeigewalt gegen unbewaffnete Schwarze sein. Im August war in der Kleinstadt Ferguson der unbewaffnete schwarze Jugendliche Michael Brown von einem weißen Polizisten getötet worden. Wegen mangelnder Beweise wurde der Beamte aber nicht angeklagt. Der Fall hatte schwere Proteste und eine Debatte über Rassismus bei der Polizei ausgelöst. Die Vorgänge führten in Ferguson und anderen Städten zu teils gewaltsamen Ausschreitungen.

(APA/AFP/Reuters/dpa)

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