Nepal: Flucht aus Kathmandu, Elend in den Bergen

Flucht aus Kathmandu - hier funktioniert die Hilfe aber noch besser als in den ländlichen Gegenden Nepals.
Flucht aus Kathmandu - hier funktioniert die Hilfe aber noch besser als in den ländlichen Gegenden Nepals.(c) REUTERS (ATHIT PERAWONGMETHA)
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In ländlichen Gegenden Nepals kommt keine Hilfe an. Aus der Hauptstadt setzt die Massenflucht ein. Die Regierung räumt Fehler ein und befürchtet bis zu 10.000 Tote.

Das Zuhause zerstört, Nachbeben, keine Krankenversorgung, nur schleppende Nahrungsmittelhilfe - für viele Bewohner von Kathmandu gibt es derzeit nur eine Möglichkeit: Nichts wie raus aus Kathmandu. Der Hauptstadt-Flughafen Tribhuvan ist voller Menschen, die versuchen das Land zu verlassen. Bisher seien eine Viertelmillion Menschen gezählt worden, die Kathmandu verlassen haben. Sie seien auf der Suche nach Nahrung und Wasser.

Am Montag wollten außerdem Tausende Menschen die Stadt per Auto verlassen. Die Ausfallstraßen waren verstopft. Menschen versuchten auf Autobusse oder Lkw aufzuspringen. "Wir flüchten", erzählt Krishna Muktari der Nachrichtenagentur Reuters, als sie gerade an einer großen Kreuzung in der Stadt steht. Sie lässt damit ihr kleines Lebensmittelgeschäft in Kathmandu zurück.

"Haben drei Tage keinen Beamten gesehen"

In der Hauptstadt Kathmandu beschwerten sich zahlreiche Menschen. "Wir leben hier auf der Straße, ohne Essen und Wasser, und wir haben in den vergangenen drei Tagen (seit dem Beben) keinen einzigen Beamten gesehen", sagte ein Mann, der aus Angst vor Nachbeben mit seiner Familie im Freien campierte. Die Stromversorgung war zusammengebrochen, sodass weder Wasserversorgung noch Telekommunikation gut funktionierten.

Alle großen Geschäfte und Banken seien geschlossen. "Außerdem wollen viele Menschen in ihre Heimatdörfer fahren und schauen, wie es ihren Familien geht", sagte Philips Ewert, Einsatzleiter der Hilfsorganisation World Vision. Auf Fotos waren völlig überladene Lastwagen und Busse zu sehen, die Kathmandu verließen.

Das Erdbeben der Stärke 7,8 hatte am Samstag große Teile Nepals sowie die angrenzenden Länder Indien und China erschüttert. Im Bebengebiet leben nach UN-Angaben etwa 6,6 Millionen Menschen, insgesamt seien acht Millionen Menschen vom Beben betroffen, schätzt die UNO. Die Organisation höre immer wieder, dass im Epizentrum die meisten Häuser zerstört seien. "Aber die Region ist noch völlig unzugänglich."

Bergdörfer nicht erreichbar

Hilfsorganisationen haben mittlerweile ein Bild von der Lage in Kathmandu. Doch wie sieht es in den ländlichen Gegenden aus? Wichtige Verkehrsverbindungen sind wegen Schäden nicht befahrbar, Dörfer haben keinen Zugang zu Wasser oder Strom. Sie überleben nur dank bescheidener Lebensmittelvorräte. Nachschub gab es bisher nicht.

Die Behörden haben es bisher nicht geschafft, Hilfe in abgelegenere Region zu bringen. Die Zeit drängt, sollte man noch darauf hoffen, Überlebende unter den Trümmern zu finden. Im Norden Kathmandus versuchen Überlebende verzweifelt mit den bloßen Händen, nach Verschütteten zu graben. "Wir können nicht nach Vermissten suchten mit nur einer Kerze in unseren Händen", beklagt Amarnath Prasad, der seinem besten Freund dabei hilft, seine Mutter zu finden. "Sie hat mich wie einen Sohn geliebt. Ich denke, es ist meine Pflicht sie zu finden - tot oder lebendig", sagt Prasad gegenüber Reuters.

Premierminister: Bis zu 10.000 Tote

Die Regierung erklärte außerdem erstmals öffentlich, trotz zahlreicher Warnungen vor einem bevorstehenden großen Beben nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. "Wir haben nicht genügend Mittel, und wir brauchen mehr Zeit, um alle zu erreichen", erklärte Innenminister Bam Dev Gautam im staatlichen Fernsehen. Die Behörden hätten Schwierigkeiten, die Krise zu meistern. "Wir waren auf ein Desaster dieses Ausmaßes nicht vorbereitet", sagte er.

Die Zahl der Todesopfer hat sich offiziell auf mehr als 4000 erhöht. Bisher seien allein in Nepal 4347 Leichen gefunden worden, erklärte die Regierung am Dienstag. Auf chinesischer Seite stieg die Zahl der Toten auf 25, in Indien starben 72 Menschen. Die Zahl der Opfer werde voraussichtlich noch deutlich steigen. Der US-TV-Sender CNN sprach sogar von 8000 befürchteten Toten. Der Premierminister Nepals, Sushil Koirala, sprach am Dienstag erstmals von bis zu 10.000 möglichen Todesfällen. Nepal liegt in einer besonders anfälligen Erdbebenzone. Ein heftiges Beben war lange prophezeit worden.

Rotes Kreuz: "Die Leute hier sind extrem nervös"

Die Stimmung im Katastrophengebiet war zwei Tage nach dem schweren Erdbeben weiter angespannt. "Die Leute hier sind extrem nervös", sagte Andrea Reisinger vom Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK) am Montag. Der Flughafen in Kathmandu wird der anlaufenden internationalen Hilfe kaum noch Herr: "Wir sind vier Stunden in der Luft gekreist, weil 15 Maschinen vor uns in der Landeschleife waren", sagte Reisinger.

Auch nahe des Lagers des Roten Kreuzes hat das Erdbeben Spuren hinterlassen. Das Hotel, in dem Reisinger schlafen sollte, ist etwa aufgrund von Schäden am Gebäude nicht mehr bewohnbar. "Wir schlafen jetzt im Freien", sagte die Oberösterreicherin. Reisinger lebte zwei Jahren in Nepal, entsprechend gut ist sie auch vernetzt.

Begleitet wird Reisinger vom Trinkwasserexperten Georg Ecker. Er ist Teil des "Field Assessment and Coordination Team" (FACT). Dies ist die Einsatzgruppe des Roten Kreuzes und in der Regel vor allen anderen Hilfstrupps am Ort der Katastrophe. Sie verschafft sich ein Bild der Lage und entscheidet, wie das Rote Kreuz am besten helfen kann. Spezialisten der unterschiedlichen Leistungsbereiche (Wasser, medizinische Versorgung, Logistik) informieren sich über das Ausmaß der Katastrophe, die Zerstörungen sowie die Zahl der Verletzten und Toten. Sie entscheiden, welche Hilfslieferungen in die Krisenregion entsandt werden müssen.

(APA/AFP/Reuters/dpa)

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