Óscar Romero: Eine Ikone der Armen wird selig

Priests celebrate mass at La Divina Providencia Chapel where the late Archbishop Oscar Arnulfo Romero was murdered in San Salvador
Priests celebrate mass at La Divina Providencia Chapel where the late Archbishop Oscar Arnulfo Romero was murdered in San Salvador(c) REUTERS (STRINGER/EL SALVADOR)
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Die Seligsprechung des salvadorianischen Erzbischofs Óscar Romero zeigt, dass sich im Vatikan ein Zeitenwechsel vollzogen hat.

Rom. Es ist Montag, der 24. März 1980, kurz nach 18 Uhr. Óscar Romero feiert die Abendmesse in der kleinen Krankenhauskapelle „Zur Göttlichen Vorsehung“. Er hebt den Kelch zur Wandlung, es ist der heiligste Moment des Gottesdienstes. Genau da trifft ihn die Kugel eines Scharfschützen in den Hals, durch die offene Kirchentür, aus dreißig Metern Entfernung. Der Erzbischof von San Salvador, 62 Jahre alt, verblutet noch am Altar. Im Hauptquartier der Militärjunta knallen die Champagnerkorken.

35 Jahre danach ist El Salvador – der Kleinstaat an der mittelamerikanischen Pazifikküste, etwas größer als Niederösterreich, nur ungleich ärmer – noch immer das Land der Erde, in dem am meisten gemordet wird. In dem zu Zeiten Romeros die Todesschwadronen der Militärs und der 14 Großgrundbesitzer die sechs Millionen Einwohner terrorisierten – munitioniert und finanziert von den USA des späteren Friedensnobelpreisträgers Jimmy Carter –, bekämpfen sich heute kriminelle Banden; der tägliche Blutzoll soll höher sein als im mexikanischen Drogenkrieg, nur zwei Landesgrenzen weiter.

Ende der Kurienstreitigkeiten

Diesen Samstag nun bekommt das geplagte El Salvador einen neuen Nationalheiligen. Oder besser: Mit der offiziellen Seligsprechung Óscar Romeros bestätigt nun auch die katholische Kirche, was ihr gläubiges Volk schon wusste. „San Romero de América“, wie sie ihn längst nennen, war ein Heiliger, eine Leitfigur, ein Segen. Und die Vorzeichen sollen sich umkehren. Romeros Beerdigung, zu der mehr als 250.000 Salvadorianer in die Hauptstadt strömten und bei der vierzig von ihnen im Gewehrfeuer der Machthaber ihr Leben ließen, markierte den Beginn eines zwölfjährigen Bürgerkriegs mit 75.000 Toten. Die Seligsprechung soll nun ein Akt nationaler Einigung, innerer Versöhnung sein. Soll.

Für die katholische Kirche selbst stellt Romeros Beförderung „zur Ehre der Altäre“ einen Zeitenwechsel dar. So offen wie Kurienerzbischof Vincenzo Paglia über all die politischen Intrigen spricht, die Widerstände in der Kurie, die Verschleppungstaktik beim zwanzigjährigen Seligsprechungsprozess und über das „Schuldbekenntnis, das jetzt einige ablegen sollten“, so ehrlich und selbstkritisch hat sich der Vatikan zu diesem Fall noch nie geäußert. Im Vierteljahrhundert Johannes Pauls II. und buchstäblich bis hinein in die letzten Amtswochen Benedikts XVI. galt Óscar Romero als Vorkämpfer der verfemten Befreiungstheologie, als kommunistisch infiltriert. Und gerade die Tatsache, dass linke, reformerische Kirchengruppen und aufmüpfige Theologen den salvadorianischen Erzbischof immer schon als ihr Idol propagierten, hatte im Vatikan die Rollläden heruntergehen lassen.

Unter Marxismusverdacht

Zwar betete Johannes Paul II. schon 1983 spontan an Romeros Grab, zwar erklärte Benedikt XVI. bereits 2007, seiner Meinung nach wäre die Seligsprechung fällig, aber gegen den Apparat setzte sich keiner der beiden durch. Und längst sind andere weiter: Die Vereinten Nationen begehen seit 2010 den Tag der Ermordung Romeros als „Internationalen Gedenktag“ für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen, und die anglikanische Kirche hat den katholischen Erzbischof mit einer Ehrenstatue an der Außenfront der Westminster Abbey in die Kette der großen „Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ eingereiht.

Der für die Wende im Vatikan entscheidende Akt der „göttlichen Vorsehung“, so sagt Erzbischof Paglia als Vertreter Romeros im Seligsprechungsprozess, sei erst mit der Wahl eines lateinamerikanischen Papstes eingetreten. „Und Franziskus hat mir gesagt: Beeilt euch!“

Nun gelten in Rom andere Betrachtungsweisen. Hat sich Romero seinerzeit bitter beklagt, dass es zur „Vernichtungsstrategie“ gegenüber der Kirche gehöre, jeden, der sich „für die Armen“ einsetze, automatisch als Marxisten zu denunzieren, so rücken unter einem Papst, der „eine arme Kirche für die Armen“ will, solche Positionen plötzlich ins Zentrum der Rechtgläubigkeit. Auch Franziskus geriet ja unter Marxismusverdacht, als er die Diktatur ökonomischer Interessen über die Würde des Menschen geißelte („Diese Wirtschaft tötet!“).

Was Jorge Mario Bergoglio schon als Erzbischof von Buenos Aires getan hat, was er nun als Papst tut und sagt, unterscheidet sich nur wenig vom Wirken Romeros. Auch Romero ist in San Salvador aus dem bischöflichen Palast ausgezogen, um den Armen nahe zu sein. In Zeiten der Diktatur wollte er „den Stimmlosen eine Stimme“ geben. Er prangerte die Gräuel des Regimes, die Kindesentführungen, die Folterung von Priestern in seinem kirchlichen Radiosender an, dem einzigen unabhängigen Medium in El Salvador.

Wandel des braven Priesters

Eigentlich galt Romero, als er 1977 Erzbischof in San Salvador wurde, als farbloser, braver, harmloser Kleriker; die Ermordung eines Jesuitenfreundes und Armenpriesters drei Wochen nach seinem Amtsantritt öffnete ihm die Augen für seinen sozialpolitischen Auftrag. Er begriff: „Wir in der Kirche sind dafür verantwortlich, dass viele Menschen die Kirche als eine Verbündete der politisch und wirtschaftlich Mächtigen sehen, die dazu beigetragen hat, dass diese Unrechtsgesellschaft entstehen konnte, in der wir leben.“ Dem Erzbischof, dem erzkonservativen Opus Dei verpflichtet, war jede Ideologie suspekt, der Marxismus sowieso. Sieben Jahre brauchte die von Vorurteilen geprägte und von Denunziationen lateinamerikanischer Kurienkardinäle entsprechend eingestimmte Glaubenskongregation unter Joseph Ratzinger, um herauszufinden, dass nichts in Romeros Predigten der katholischen Lehre widersprach; kein Marx, kein Mao fand sich auf seinem Bücherregal – nur lupenrein katholische Werke: die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils und die entwicklungspolitisch radikale Enzyklika „Populorum Progressio“ von Papst Paul VI. Woher Romero seinen Auftrag bezog, formulierte er genauso unzweideutig: „Es wäre ein Verstoß gegen das Evangelium selbst, wollte die Kirche schweigen zur sozialen Ausgrenzung und zu all dem menschlichen Elend; sie würde sich zum Komplizen machen derjenigen, die die Menschenrechte mit Füßen treten.“

Eine neue Serie von Heiligen

Den Gipfel der Infamie erklommen Romeros innerkirchliche politische Gegner mitten im Seligsprechungsprozess. Dass ein Bischof, der mit voller Absicht auf dem Höhepunkt einer Messfeier ermordet wird, als Märtyrer zu gelten hat, sollte eigentlich unumstritten sein. Das Gegenteil war der Fall. Den Märtyrertitel, so die Paragrafenreiter des Kirchenrechts, gebe es nur bei einer Tat, die „aus Hass gegen den Glauben“ begangen worden sei. Dies könne man aber nicht bei Killern annehmen, die – wenngleich bis heute formell unbekannt – mit Sicherheit selber Katholiken waren. Wenn aber – so die abgründige Denkfigur dahinter – kein Katholik einen anderen seines Glaubens wegen umbringt, und wenn die Mörder bestimmt katholisch waren, dann konnte es der Erzbischof nicht sein. Dann war das Attentat doch wieder nur die Bestätigung, dass Romero ein theologisch verirrter, rein politischer Unruhegeist war, jenseits der kirchlichen Lehre.

Heute, nach dem Eingreifen von Papst Franziskus und dem in der entsprechenden Kurienbehörde „einmütig“ gefällten Votum für die Seligsprechung, erklärt Vincenzo Paglia: „Wenn der Mord an Monsignor Romero ein politischer war, dann war es der an Jesus auch.“ Ende der Durchsage, noch vor zwei Jahren in dieser Souveränität undenkbar. Das heißt, und das gibt man im Vatikan auch zu, wenngleich mit gemischten Gefühlen: Ein politischer Einsatz der Kirche à la Romero, à la Franziskus bekommt Heiligkeitsrang. Der „Osservatore Romano“ als offizielle Vatikanzeitung feiert Romero bereits als „Proto-Märtyrer“, das heißt als ersten einer neuen Serie von Heiligen.

ZUR PERSON

Óscar Romero (*1917) wurde 1977 zum Erzbischof von San Salvador ernannt. Er stellte sich gegen die sozialen Missstände im mittelamerikanischen El Salvador und wurde so zur Hassfigur der damaligen Militärdiktatur. Am 24. März 1980 wurde Romero während eines Gottesdienstes von einem Scharfschützen erschossen. Das Attentat löste einen zwölfjährigen Bürgerkrieg aus, in dem 75.000 Menschen starben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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