Motorradbanden: Mafiosi und Schwerverbrecher auf Harleys

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Verfeindete Motorradbanden haben erst kürzlich in den USA ein Blutbad angerichtet. Was steckt hinter den Bandidos, Cossacks, Hells Angels und anderen solcher Vereine? Einblicke in eine verbrecherische Subkultur.

Bevor er Ray Tarver in der Nacht des 22. Dezember 1972 mit einer Schrotflinte erschoss und von einem Gehilfen in der Wüste nordöstlich der texanischen Stadt El Paso verscharren ließ, hatte sich Donald Chambers, der Gründer der Motorradgang Bandidos, die Stiefel seines Opfers angeeignet. In diesen wurde er zwei Tage später verhaftet; für den Mord an Ray und Mel Tarver, zwei Drogenhändlern, die versucht hatten, den Bandidos Backpulver als Methamphetamin anzudrehen, fasste Chambers eine lebenslange Haftstrafe aus.

In der Erinnerung der Bandidos ist der 1999 an Krebs verstorbene Chambers allerdings bis in die Gegenwart ein großer Mann. Der Journalist Skip Hollandsworth hat im Jahr 2007 einige Zeit mit den Bandidos verbracht und seine Erfahrungen im Magazin „Texas Monthly“ zusammengefasst. „Don suchte keine Leute, die in die, wie er sie nannte, höfliche Gesellschaft passten“, schwärmte ihm ein alter Weggefährte Chambers' vor. „Er wollte Biker, die nur für die offene Straße lebten. Keine Regeln, kein Scheiß, nur die offene Straße.“

Keine Regeln, kein Scheiß: Das Blutbad vor einem Steaklokal in der texanischen Stadt Waco vom vergangenen Sonntag, bei dem sich Dutzende Mitglieder der Bandidos mit den rivalisierenden Cossacks und drei anderen Motorradbanden Feuergefechte lieferten, in denen neun Biker ihr Leben verloren und 18 teils schwer verletzt wurden, hat die kriminelle Subkultur der Motorradbanden wieder einmal in den Mittelpunkt des weltweiten Interesses gerückt. Ein Blick auf die rund sieben Jahrzehnte alte Geschichte der Bikergangs zeigt, wie popkulturelle Verherrlichung und verbrecherische Wirklichkeit ineinandergriffen. Zwar betonen sowohl Sozialforscher als auch Polizeibehörden und friedliche Motorradklubs, dass nur ein winziger Anteil der Biker gewalttätig ist. Doch jene, die dem Verbrechen nachgehen, tun das umso brutaler und derart straff organisiert, dass die US-Justizbehörden schon seit Jahren mit Anti-Mafia-Gesetzen großteils vergebens gegen sie vorgehen.



Schwere Heimkehr. Begonnen hat dieses Phänomen nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele der heimkehrenden Veteranen taten sich nach den traumatisierenden Erlebnissen auf den Schlachtfeldern schwer damit, in die friedliche amerikanische Zivilgesellschaft zurückzukehren. Der restliche Sold reichte oft nicht für die Gründung einer bürgerlichen Existenz, für den Kauf einer Indian oder einer Harley-Davidson hingegen schon.

„Diese Veteranen konnten militärische Disziplin nicht ertragen, verknüpften ihr Selbstbild jedoch mit der Kameradschaft kleiner Gruppen und dem Risikoverhalten des Militärdienstes“, schrieb der Sozialforscher James F. Quinn von der University of North Texas in einer 2001 veröffentlichten Studie. Bald begann sich das gutbürgerliche Amerika vor den „Wilden“ auf ihren Maschinen zu ängstigen.

1948 wurde der Hells Angels Motorcycle Club gegründet. Er sollte im Gefolge eines zweiten Krieges und der sozialen Umwälzungen der 1960er-Jahre in die organisierte Kriminalität abdriften. Der Vietnam-Krieg brachte eine neue Generation verrohter, junger Männer nach Amerika zurück. Viele von ihnen hatten zwei Erfahrungen, denen es früheren Veteranen mangelte: Sie waren in Südostasien zu Rauschgiftexperten geworden. Und sie wurden von ihren friedensbewegten Altersgenossen als Babymörder und Kriegstreiber angefeindet.

Weiße Männer der Unterschicht. Zu dieser Generation gehörte Don Chambers, der Gründer der Bandidos. Er arbeitete nach seiner Abrüstung als US-Marine in den Schiffsdocks von Houston, und dieses Leben ödete ihn zutiefst an. Seiner im März 1966 gegründeten Gang gehörten zahlreiche Veteranen an, denen es, wie der Journalist Hollandsworth einen von ihnen zitiert, „zu langweilig geworden war, brav zu Hause herumzusitzen, nachdem ihnen die Regierung beigebracht hatte, so böse zu sein“.

Motorradgangs waren und sind bis heute fast ausschließlich eine Angelegenheit für weiße Männer aus der Unterschicht. „Biker sind Außenseiter kraft eigener Wahl und kraft ihrer Sozialisation“, schreibt der Sozialforscher Quinn. Der in den 1970er-Jahren einsetzende Niedergang großer Teile der US-Schwerindustrie beraubte die schlecht ausgebildeten Vietnam-Veteranen der Chancen auf einen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Der Journalist Hunter S. Thompson, der für seinen 1966 erschienenen Bestseller „Hells Angels“ Zeit mit der Gang verbracht hatte, beschreibt ihre Weltsicht so: „Das sind urbane Outlaws mit einer ländlichen Ethik und einem neuen, improvisierten Stil der Selbsterhaltung. Ihr Selbstbild leitet sich hauptsächlich von Filmen und vom Fernsehen ab.“

Thompson trug übrigens mit seinem Buch ungewollt zur Radikalisierung der Bandidos bei. „Wir alle haben das gelesen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was wir tun sollten“, sagt der alte Bandido in Hollandsworths Bericht. „Und dann haben wir einander angeschaut und gesagt: Zur Hölle, wir können das viel besser als diese Typen.“

So machten sich die Bandidos rasch einen Namen als skrupellose Verbrecher. Sie stiegen groß in den Handel mit Rauschgift, gestohlenen Motorrädern und Waffen ein und machten sich im Menschenhandel und der Zuhälterei breit. Die US-Bundespolizei FBI betrachtet derzeit acht Motorradbanden als organisierte Verbrechensorganisationen, die „eine wachsende Gefahr für die Sicherheit in den USA“ darstellen, wie es auf der Website des Justizministeriums heißt. Die Bandidos und die Hells Angels sind mit jeweils 2000 bis 2500 Mitgliedern weltweit die größten dieser Vereinigungen.

Allerdings ist es schwer für die US-Behörden, mit den Anti-Mafia-Gesetzen gegen sie vorzugehen. „Die meisten Biker haben gelernt, ihre Geschäfte auf eine Weise zu führen, die den Klub vor direkter Strafverfolgung schützt“, gibt James F. Quinn zu bedenken. Der Motorradklub gibt zwar gewisse Regeln vor, die unterscheiden sich aber kaum von jenen anderer, respektierter Klubs: wöchentliche Treffen im Vereinshaus, das Tragen von Vereinskleidung (wie die Jeans- und Lederwesten mit den jeweiligen Aufnähern). „Einzelne Mitglieder gründen und betreiben zwar oft kriminelle Unternehmungen verschiedenen Ausmaßes, der Klub ist allerdings darin nur insofern eingebunden, als er die Biker zusammenbringt.“


Abgestumpft, ohne Perspektive. Es ist auch nicht zu erwarten, dass das Phänomen der kriminellen Bikergang im Lichte der Bluttat vom vergangenen Sonntag schwindet. Im Gegenteil: Die jüngsten beiden US-Kriege haben eine Menge abgestumpfter, perspektivenloser Männer geschaffen, die sich nicht in die Gesellschaft einfügen können oder wollen. „Eine Menge Klubs haben sich jetzt rund um Typen gebildet, die aus Afghanistan und dem Irak zurückkommen“, sagte der frühere Informant Charles Falco dieser Tage zur BBC.

Fakten

Hells Angels. 1948 in Kalifornien gegründet, breitete sich der Klub auf der ganzen Welt aus. 1975 wurde übrigens der erste Österreich-Ableger in Vorarlberg gegründet. International wird der Klub immer wieder mit verschiedenen Straftaten wie Drogen- oder Gewaltdelikten in Verbindung gebracht.

Bandidos. Der Motorradklub wurde 1966 durch Donald Eugene Chambers in Houston (US-Staat Texas) gegründet. In Deutschland wird der Klub vom Verfassungsschutz beobachtet, weil einzelne Mitglieder der organisierten Kriminalität zugerechnet werden.

Outlaws. Der Name ist Programm: Ebenfalls in den USA gegründet (schon 1935), zählt der
Klub zu jenen Gruppierungen, die von den meisten Ländern als Teil der organisierten Kriminalität eingestuft werden. Ihre Aktivitäten: Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Zuhälterei.

Gremium. In Deutschland 1972 gegründet, zählt der Gremium MC zu den größten Klubs in Europa. Regelmäßig wird er im Bericht des deutschen Verfassungsschutzes aufgelistet und in Zusammenhang mit Drogen- und Waffenhandel sowie Prostitution gebracht.

Mongols. 1969 in Kalifornien gegründet, werden die Mongols in den USA als kriminelle Vereinigung eingestuft. Und wieder geht es in erster Linie um Drogenhandel und Prostitution.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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