Mordserie: Gewaltexzesse in serbischen Familien

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Eine anhaltende Serie tödlicher Familiendramen erschüttert Serbien. Zum Opfer Amok laufender Väter werden meist Frauen. Die Gesellschaft verrohe, sagen Soziologen.

Es war ein Blutbad mit Ansage. Schon auf der von ihm eigentlich abgelehnten Hochzeit seines Sohnes war der angetrunkene Rade S. in der Nacht im nordserbischen Kanjiza gegen seine frühere Frau Roza gewalttätig geworden. Die Polizei nahm ihn mit auf die Wache, ließ ihn aber nach einem Verhör wieder frei.

Im Morgengrauen fuhr der 55-Jährige hernach in seinen Heimatort Senta, lud seine Jagdgewehre und machte sich zum über 30 Kilometer entfernten Elternhaus seiner Exfrau auf. Als Rade dort nicht antraf, tötete er seine früheren Schwiegereltern. Auch weitere 30 Kilometer Fahrt zum Wohnort der Familie der Schwiegertochter konnten seinen Blutdurst nicht kühlen. „Ich werde euch alle umbringen“, rief Rade, bevor er seine Schwiegertochter Natalija, deren Eltern und seine Exfrau Roza erschoss und eine Tante der Braut verwundete.

In panischer Angst um seine eigenen Kinder schlug schließlich ein aus Frankreich angereister Verwandter den Amokläufer nieder – und würgte ihn dann auch gleich zu Tode. „Papa, warum hast du mir alle Liebsten getötet?“, klagte nach dem Blutbad der erschütterte Bräutigam.

Mord auf dem Fußballplatz

Als „Frauenhasser“ umschrieben Angehörige und Bekannte später diesen Amokläufer, der seine grausamen Taten erst diesen Monat begangen hatte. Allerdings – ein Einzelfall war dieses regelrechte Massaker eines Familienvaters in dem Balkanstaat keineswegs: Auch im ostserbischen Lozovik tötete ein Ehemann vor Kurzem seine Frau auf dem örtlichen Fußballplatz mit seiner Jagdflinte, bevor er sich selbst damit richtete.

Wenig später erschoss der 58-jährige Geschäftsmann Dragan K. im zentralserbischen Čacak im Morgengrauen seine neben dem gemeinsamen Sohn schlafende Frau, bevor er sich selbst das Leben nahm. Und nur einen Tag später tötete ein 49-Jähriger mitten in der Hauptstadt Belgrad im Hotel Slavija seine Frau, bevor auch er sich selbst erschoss.

„Wann hat das Blutvergießen ein Ende?“, fragte sich entsetzt das serbische Webportal B92 nach dem vierten Amoklauf eines lebensmüden Familienvaters innerhalb von nur 48 Stunden. Tatsächlich waren diese blutigen Maitage mit sieben getöteten Frauen in zwei Tagen nur die Spitze eines Eisbergs: Seit Jahren wird Serbien nämlich schon von einer regelrechten Welle gewalttätig ausgetragener Familiendramen erschüttert. Fast immer sind die Täter dabei Männer – und die Opfer ihre Frauen oder Mütter.

Heuer schon 22 tote Frauen

Allein seit Jahresbeginn haben bereits 22 Serbinnen bei Fällen häuslicher Gewalt ihr Leben verloren – im Durchschnitt ist das mehr als ein Mordfall pro Woche. Fast jede zweite Bürgerin des Landes mit seinen rund 7,2 Millionen Einwohnern soll laut der Zeitung „Blic“ im Lauf ihres Lebens bereits häuslicher Gewalt ausgesetzt gewesen sein – und die Situation verschlimmere sich tatsächlich noch weiter, heißt es.

Allein mit der drastisch verschlechterten materiellen Situation vieler Landsleute und der stark patriarchalischen Strukturen im Land lässt sich der Gewaltexzess laut der Zeitung kaum erklären: „Die Gewalttäter finden sich in allen Schichten der Gesellschaft – unabhängig von ihrem Sozialstatus.“

Spätfolgen der Kriegsjahre

Einen allgemeinen Werteverfall und die zunehmende Verrohung der zerrütteten Gesellschaft sowie die Spätfolgen des gewalttätigen Kriegsjahrzehnts der 1990er-Jahre machen derweil Fachleute für die nicht enden wollende Serie blutiger Familiendramen verantwortlich – ebenso wie für die Minderwertigkeitskomplexe von Männern, die ihre Familien nicht mehr zu ernähren vermögen und daher durchdrehen. „Und die Menschen ohne Hoffnung lassen ihren Zorn am häufigsten an denen aus, die ihnen am nächsten stehen – also ihrer eigenen Familie“, sagt der Kriminologe Zlatko Nikolić.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2015)

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