Indien: Wo es sogar in der Nacht 35 Grad hat

A man sleeps under the shade of a tree on a hot summer day at a public park in New Delhi
A man sleeps under the shade of a tree on a hot summer day at a public park in New Delhi(c) REUTERS (ANINDITO MUKHERJEE)
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Seit einer Woche klettern die Höchsttemperaturen auf fast 50 Grad. Bisher hat die Hitzewelle offiziell rund 1500 Menschenleben gefordert – und ein Ende ist nicht in Sicht.

Neu Delhi. Wenn die Schicht an der Baustelle in der Altstadt von Neu Delhi zu Ende ist, beginnt für Munir Ali der Wettlauf um einen Schlafplatz unter freiem Himmel. In einem stickigen Obdachlosenasyl will der 54-Jährige nicht die Nacht verbringen, erzählte er der Zeitung „Hindustan Times“ – dann schon lieber dicht gedrängt mit Hunderten anderen auf der Straße oder unter einer Brücke. Um neun Uhr abends sei dort jedoch kein Platz mehr frei, berichtet Ali, einer von Zehntausenden, die derzeit draußen übernachten. Selbst in der Nacht kühlt es in der indischen Hauptstadt indes nicht unter 35 Grad ab, tagsüber steigen die Temperaturen auf mehr als 45 Grad.

Seit Tagen ächzt der Subkontinent unter einer Hitzewelle, was nicht ungewöhnlich wäre für die Jahreszeit. Temperaturen um die 40 Grad sind typisch für Ende Mai, bevor der Monsunregen schließlich Abkühlung verschafft. Doch die Hitzeperiode dauert diesmal länger als üblich, die Temperaturen sind im Durchschnitt um fünf Grad höher. Ein Ende ist laut Meteorologen frühestens in vier, fünf Tagen absehbar.

Längst diskutieren Experten das Phänomen als Folge des Klimawandels. Bisher sind der Rekordhitze offiziell rund 1500 Menschen zum Opfer gefallen, das Gros in den südöstlichen Bundesstaaten Andhra Pradesh und Telangana. Dort gilt die höchste Alarmstufe. Indiens Zeitungen schreiben von einer „Mörder-Hitzewelle“.

Der zerfließende Zebrastreifen auf einer Kreuzung in Neu Delhi ist zum Sinnbild der Hitzewelle geworden. „Es ist so heiß, dass das Eis innerhalb von Sekunden schmilzt“, sagt ein Getränkeverkäufer, der die Bestellung von Eiswürfeln verdoppelt hat. Die Menschen suchen Zuflucht im Schatten, und sei es notdürftig unter einem Karren.

Wer kann, meidet die Sonne und hält sich in klimatisierten Büros oder mit Ventilatoren ausgestatteten Häusern oder Wohnungen auf. Für die Zeit zwischen elf und 16 Uhr empfahlen die Behörden, den Wohn- oder Arbeitsbereich nicht zu verlassen. Die Straßen in den Großstädten sind oft menschenleer. Die Nachfrage nach Klimaanlagen führte vielerorts zu Stromausfällen. Ein Viertel der 1,25 Milliarden Inder verfügt indessen über keinen Strom. Unter den Hitzeopfern sind vor allem Bauern und Bauarbeiter, ältere Menschen und Obdachlose. „Wie soll ich Geld verdienen, wenn ich drinnen bleibe?“, fragt ein Müllsammler.

„Man muss alle paar Minuten etwas trinken, sonst dörrt die Kehle komplett aus“, schildert die Angestellte Shweta Singh. In den besonders betroffenen Bundesstaaten hat die Lokalverwaltung tausende Wasserstellen eingerichtet, an Bushaltestellen und Bahnhöfen gibt es Trinklösungen mit Zucker, Salz und Elektrolyten.

Die Menschen klagen über Schwindel bis hin zum Delirium und Dehydrierung Die Spitäler sind überlaufen, sie haben Urlaubssperren verhängt. (ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)

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