Bratislava: Streit um slowakisches „Carnuntum“

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Beim Bau einer Tiefgarage im Areal der Burg von Bratislava wurden Gebäudeteile aus keltisch-römischer Zeit freigelegt. Nun tobt ein Streit zwischen Archäologen und Bauherrn.

Bratislava. Inmitten einer der archäologisch bedeutendsten Ausgrabungsstätten Mitteleuropas im Areal der Burg von Bratislava wird eine Tiefgarage für das slowakische Parlament gebaut. Archäologen, Architekten und andere Wissenschaftler laufen gemeinsam mit einer eigens gegründeten Bürgerinitiative Sturm gegen das von ihnen als geradezu frevelhaft empfundene Projekt.

Im Zuge der schon vor mehreren Jahren begonnenen Sanierung des gesamten Burgareals wurden nämlich Kunstschätze von unermesslichem archäologischen und historischen Wert entdeckt, deren Alter bis in das erste vorchristliche Jahrhundert zurückreicht. Ein Team um die Archäologin Margaréta Musilová stieß etwa auf eine mittlerweile als „keltischer Goldschatz“ bekannt gewordene Sammlung von Gold- und Silbermünzen und anderen wertvollen Gegenständen, die in diesem geografischen Raum bisher noch nie gefunden wurden. Aber auch im Zuge der Grabungen freigelegte und erstaunlich gut erhaltene Gebäudeteile aus keltisch-römischer Zeit seien von solcher Aussagekraft, dass ihretwegen gar die mitteleuropäische Kulturgeschichte umgeschrieben werden müsse.

„Unschätzbarer Wert“

Dass auf dem von den deutschsprachigen Alt-Pressburgern als Schlossberg bezeichneten Burghügel oberhalb der Stadt eine keltische Befestigung (Oppidum) bestand, war schon lange bekannt. Aber völlig neu ist die dank der Funde gewonnene Erkenntnis, auf welch hohem technischen Entwicklungsstand hier schon in vorchristlicher Zeit gebaut wurde: „Die Funde sind einzigartig nicht nur für die slowakische, sondern europäische Kulturgeschichte und verändern die Sicht auf das erste Jahrhundert vor Christus epochal“, sagt Musilová zur „Presse“. So zeigten die Ausgrabungen erstmals, dass auch in dieser nördlich der Donau und somit außerhalb des eigentlichen römischen Imperiums gelegenen keltischen Siedlung und Befestigung umfangreiche Bauten nach römischem Muster bestanden. Die Archäologen sprechen von „Kulturdenkmälern unschätzbaren Werts“, die durch den längst begonnenen Bau der Garage gefährdet seien. Gemeinsam mit der Bürgerinitiative SOS Burg (slowakisch SOS Hrad) fordern sie deshalb einen Baustopp und längerfristige Pläne zur Erhaltung und öffentlichen Präsentation der Ausgrabungen. Nachdem slowakische Medien Luftbilder von Ausgrabungsstätte und Garagenbaustelle veröffentlichten, sah sich das Nationalratspräsidium als Bauherr mit einem in diesem Ausmaß wohl nicht erwarteten Entrüstungssturm konfrontiert. Nationalratspräsident Peter Pellegrini, in dessen Kompetenz die Verwaltung der vom nebenan liegenden Parlament zu Repräsentationszwecken und für Kongresse genützten Burg fällt, will den Schwarzen Peter nicht behalten. Er wird nicht müde zu betonen, dass die Garagenpläne stets so konzipiert gewesen seien, dass daneben auch würdige Präsentationsräume für die aus den Ausgrabungen erwarteten, aber nicht in dieser Dimension erahnten Kunstschätze entstehen sollten.

Den Protestierenden ist das zu wenig. Funde abzutragen und neben der Garage in Vitrinen zu präsentieren, könne keinesfalls eine Präsentation „in situ“, also in der originalen Umgebung, ersetzen. Die Bedeutung der Entdeckungen sei so enorm, dass sie für einen Archäologiepark reichen sollten, der mit dem nahegelegenen österreichischen Carnuntum vergleichbar sei.

Garagenbau geht weiter

Musilová räumt ein, dass als erster Teilerfolg inzwischen immerhin solche Planungsänderungen erfolgt seien, die eine ursprünglich nicht vorgesehene Präsentation wichtiger Teile der keltisch-römischen Mauern für Besucher ermöglichen. Ihr bleibt aber ein Dorn im Auge, dass der eigentliche Garagenbau trotz aller Proteste weitergeht und so manche schützenswerte Gebäude-Ausgrabungen nicht mehr an ihrem Ort zu erhalten seien. SOS Hrad beharrt überhaupt auf einem radikaleren Schritt: Der Garagenbau müsse völlig aufgegeben und stattdessen die archäologische Präsentation in den Vordergrund gestellt werden. Wie der Streit ausgeht, ist noch offen.

AUF EINEN BLICK

Auf dem Areal der Burg von Bratislava wurden im Zuge von Bauarbeiten für eine Tiefgarage Gebäude sowie Silber- und Goldmünzen aus keltisch-römischer Zeit freigelegt. Archäologen sprechen von Kulturdenkmälern unschätzbaren Werts, welche die Sicht auf das erste Jahrhundert vor Christus verändern würden. Sie fordern, gemeinsam mit einer Bürgerinitiative, einen Baustopp und die Errichtung eines Archäologieparks.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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