Balsam für gemarterte Bären

BULGARIA DANCING BEARS
BULGARIA DANCING BEARS(c) EPA (Vassil Donev)
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Über Jahrhunderte hat man auf dem Balkan grausam abgerichtete Tanzbären zur Volksbelustigung missbraucht. In Belitsa in Bulgarien können die geschundenen Tiere nun endlich einen artgerechten Lebensabend genießen.

Über den Wipfeln des Rila-Gebirges blinzelt die Sonne, leise gurgelt der Bach im Tal. Mit erhobenem Haupt versucht der erblindete Dobri, auf der Lichtung Witterung aufzunehmen. Die ausgefranste Schnauze und zerfetzte Oberlippe des alten Bären künden noch von seiner früheren Qual: Er war ein Tanzbär.

Man hatte ihm bei der Abrichtung Ringe durch die empfindliche Nase und Lippe gezogen, berichtet Vasil Madolev, Chefpfleger des Tanzbären-Rehabilitationsparks im bulgarischen Belitsa. Der Zug an der Kette bereite den Bären Pein und lasse sie sich aufrichten: „Durch die Misshandlung ihrer Riechorgane verlieren sie die Hälfte ihres Geruchssinns: Sie könnten im Wald kaum überleben.“

1998 hat Bulgarien das Abrichten und Halten von Tanzbären verboten. Doch bis vor wenigen Jahren blieben zur Musik im Kreis tapsende Braunbären an Nasenketten auf Jahrmärkten und in Innenstädten ein vertrautes Bild. Inzwischen sind die Letzten von der Qual erlöst. In dem 120.000 Quadratmeter großen Bärenpark können sie einen artgerechten Lebensabend ohne Nasenring und Schläge fristen: 27 Tanzbären aus Bulgarien und Serbien genesen am Südhang des Rila-Gebirges an Leib und Seele.

Der süße Klang des Schmerzes. In einer Vitrine im Informationszentrum des von der Tierschutzgruppe „Vier Pfoten“ im Jahr 2000 gegründeten Parks sind Folterwerkzeuge ausgestellt: Nasenringe, Ketten und die „Gadulka“ – die Fiedel, zu deren Weisen sich die Bären jahrhundertelang zu drehen hatten. Auf heißen Platten wurden sie im Alter von wenigen Monaten zum Tanz abgerichtet. Um den Schmerz zu lindern, richteten sich die hilflosen Bärenjungen auf und sprangen auf den Hintertatzen herum. Ihre Dompteure kratzten dabei fröhlich auf der Fiedel: Nach endlosen Wiederholungen der Tortur reichte das Spiel der Gadulka, damit die Tiere sich aufrichten und tanzen.

Bärin Elena ist hoch in die Tannenwipfel geklettert. Zufrieden schaut Assen Kezlarev zu. Die vermeintlich tapsigen Bären seien sehr schnell, hochintelligent und von ganz unterschiedlichem Charakter, sagt der 20-jährige Bärenpfleger: „Manche sind fröhlich, manche schüchtern, ähnlich wie Menschen.“

Jeden Tag würden die sechs Mitarbeiter das Futter für die betagten Tiere in den weitläufigen Gehegen an anderen Stellen verstecken, so Assen: „Sie waren ihr Leben lang gewöhnt, gefüttert zu werden. Wenn sie hier ankommen, müssen sie erst lernen, Futter zu suchen.“


Verwirrte Rhythmussklaven. Tief hat sich die vor drei Monaten aus Serbien hergebrachte Nata?a in eine Grube unter das Fundament des Informationszentrums gegraben. Nach der Ankunft seien die Tiere verwirrt, sagt Vasil. Manche würden zunächst noch regelmäßig Tanzschritte machen: „Sie waren gewöhnt, im Bus von Stadt zu Stadt zu tingeln und aufzutreten. Hier wissen sie anfangs oft nicht, was sie mit sich anfangen sollen.“

Erst nach Tagen beginnen sie, die Wäldchen zu durchstreifen, Höhlen zu graben oder in Wasserbecken zu planschen. Ein Jahr kann es dauern, bis sie auf Anhieb das versteckte Futter finden. Man halte sie nicht wie im Zoo, so Vasil: „Eigenständig könnten sie im Wald nicht leben. Wir versuchen, ihr Leben im Park dem im Wald anzugleichen.“

Die meisten Bären (kaum einer hat je einen Winterschlaf gemacht) kommen in beklagenswertem Zustand in die Bärenfrische von Belitsa. Normal wiege ein Braunbär 120 oder mehr Kilo, sagt Vasil: „Unsere wogen bei der Ankunft oft nur 60 bis 80 Kilo, eine Bärin sogar nur 57: Völlig abgemagert, sah sie aus wie ein Hund.“

Manche Tiere legten im Park über 50 Kilo zu, andere erhalten eine Diät zur Rückbildung des durch Hautkrankheiten und Fehlernährung ausgefallenen Fells.

Der Zahnarzt kommt. Veterinäre kümmern sich um die Rehabilitation der Bären. Einmal im Jahr reist unentgeltlich ein deutscher Zahnarzt an. Vielen Tanzbären wurden die Fangzähne ausgebrochen. Demnächst werde auch ein Augenarzt kommen, sagt Vasil: „Vielleicht können wir zwei unserer drei blinden Bären doch noch operieren lassen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2009)

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