Südkorea: Mers-Virus – die Angst hinter der Atemmaske

(c) REUTERS (KIM HONG-JI)
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Die Mers-Epidemie forderte in Südkorea bereits 20 Tote. Unfähige Behörden und mangelnde Aufklärung haben Panik ausgelöst.

Seoul. Die Angst vor der rätselhaften Epidemie Mers (Middle East Respiratory Syndrome) hat Südkorea nach 20 Toten fest im Griff – und es wächst die Sorge vor einer weltweiten Ausbreitung wie 2003 bei Sars. Schon gibt es Tote auch in China und einen in Deutschland.

Wer kann, bleibt zu Hause, meidet vor allem Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel, Restaurants, Schulen und Kindergärten – wenn diese nicht längst geschlossen sind. Die Behörden fordern die Menschen dazu auf, Atemmasken aufzusetzen. Teams in voll isolierten Schutzanzügen versprühen Desinfektionsmittel. Der Umsatz bei Medikamenten hat sich seit Monatsbeginn um 16 Prozent erhöht. Dafür sind die Passagierzahlen in Bussen, U-Bahnen und Zügen um mehr als 20 Prozent zurückgegangen. Noch scheint es indes kein wirksames Mittel gegen die lebensgefährliche Atemwegserkrankung zu geben.

Seit dem Auftauchen des Virus vor einem Monat bei einem 68-jährigen Südkoreaner, der gerade aus dem Nahen Osten zurückgekehrt ist, ist Mers in Asien angekommen und hat sich zunächst fast unbeachtet ausgebreitet – zuerst auf Frau und Sohn, dann auf Pflegepersonal, Patienten mit anderen Beschwerden und Besucher. Die Übertragungsgefahr wurde sträflich unterschätzt. Als der Erreger sichtbar wurde, rollte die Infektionswelle bereits durch das Land.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt den Ausbruch nun „groß und komplex“. Dabei kennt man das Virus seit 2012, als es in Saudiarabien erstmals nachgewiesen wurde, wo es vermutlich jahrelang unerkannt anfangs von Kamelen auf Menschen übertragen wurde. „Wir haben die Chance verpasst, die Epidemie im Keim zu ersticken“, sagt Infektionsforscher Sung Han Kim.

Simple Regeln seien leichtsinnig missachtet worden; der Zustand von Patienten, die mit Mers-Erkrankten in Berührung gekommen sind, sei nicht verfolgt worden. Dabei gilt Südkoreas Gesundheitssystem als vorbildlich in Asien. „Es hilft aber wenig, wenn wir zwar über gute medizinische Standards verfügen, aber nicht darauf achten, sie auch einzuhalten“, meint Kee Jong-hong, Direktor des Instituts Pasteur Korea.

Laut Untersuchungen waschen sich nur zwei Drittel der Krankenhausmitarbeiter nach der Behandlung ihre Hände. Ausgerechnet in den Spitälern liegt der Infektionsherd. Im Verdacht steht dabei vor allem das Samsung-Hospital in Seoul.

Hilflos und unprofessionell

Auch die Kommunikation zwischen den Behörden und der Bevölkerung verlief anfangs katastrophal. Das überforderte Amt für Infektionskontrolle schaltete sogar vorübergehend sein Twitter-Konto ab. Stattdessen verbreiteten sich die Gerüchte im Internet.

Die Behörden reagierten mit erstaunlicher Hilflosigkeit und oft wenig professionell. In den Zoos wurden die Kamele isoliert, obwohl keines erkrankt war. Ein Patient wurde hingegen trotz alarmierender Symptome nach Hause geschickt, wo er Familie und Nachbarschaft ansteckte. In einer Überreaktion wurden andererseits ganze Dörfer auf einen vagen Verdacht hin unter Quarantäne gestellt. Erst jetzt wird nun ernsthaft ermittelt, welche Personen mit Infizierten realen Kontakt hatten, darunter das Personal von Rettungswagen.

Experten rechnen damit, dass die Epidemie noch bis bis einem Jahr dauern werde. Der Schwebezustand schafft Panik, die von einigen südkoreanischen Medien noch geschürt wird. Dabei hat Gesundheitsminister Moon Hyung-pyo erklärt, dass erstmals die Zahl der Infizierten rückläufig sei.

Dennoch werden Hochzeiten, Konzerte und Sportveranstaltungen reihenweise abgesagt. Die Einwanderungsbehörde war zeitweise geschlossen, die internationale Buchmesse wurde auf Oktober verschoben. Seoul gleicht derzeit einer Metropole in Angst. Und auch die Politik zieht Konsequenzen: Staatschefin Park Geun-hye gründete eine schnelle medizinische Eingreiftruppe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2015)

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