Schweden: Feuchtfröhlicher Sommerreigen

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SONNWENDFEUER(c) APA (NEUMAYR FRANZ)
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Mit Magie und Schnaps feiert das Land das Mittsommerfest. Das Überbleibsel aus der Wikingerzeit ist auch heute noch das zweitgrößte Fest nach Weihnachten.

Stockholm. Beim Mittsommerfest wird Schweden ganz besonders schwedisch. Das hellste Wochenende des Jahres ist dem skandinavischen Völkchen fast so lieb wie Weihnachten. „Es ist unser inoffizieller Nationalfeiertag. Schon als Kinder freuten wir uns darauf wie auf den Weihnachtsmann. Das Fest haben meine Eltern oft wochenlang vorbereitet“, sagt die 43-jährige Stockholmerin Olga Eriksson, die auf der Stockholmer Schäreninsel Värmdö feiern wird.

Vielerorts in den idyllischen Weiten des dünn besiedelten Königreichs geht die Sonne dann fast gar nicht mehr unter. Bei den bis zu fünf Monate langen, kalten Wintern ist es verständlich, dass dieses heidnische Überbleibsel aus der Wikingerzeit noch immer eine so enorme Bedeutung hat.

Glaubt man den historisch kaum belegten Überlieferungen aus der Wikingerzeit, war Mittsommer einst ein feuchtfröhliches Fruchtbarkeitsfest. Mit Tanz, Orgien und Opferritualen rund um ein großes, hölzernes Phallussymbol, das Christen später im missionarischen Kompromiss mit der Urreligion zu einem späten Maibaum mit Blumenkranz zu Ehren von Johannes dem Täufer entschärften.

Kräuter-Wodka auf ex

Zu Mittsommer sollten vor allem neue Wikingerkinder gezeugt werden. Denn mit der Geburt im folgenden Frühling hatte der Nachwuchs etwas größere Überlebenschancen als im todbringenden skandinavischen Winter. Religion und Überlebenssicherung gingen so Hand in Hand. Noch bis vor einigen Jahren hielt sich der Mythos, dass im Mittsommermonat die meisten schwedischen Kinder gezeugt werden. Laut Statistik ist dies jedoch längst nicht mehr so.

Nach der Überlieferung sollen zu Mittsommer die schwedischen Elfen und Trolle durch die Wälder tanzen und der Morgentau im Wald magische und heilende Kräfte spenden. Sämtliche Städte leeren sich bereits am Freitag, Restaurants und Bars schließen. Obwohl Mittsommer kein offizieller Feiertag ist, arbeitet niemand. Stattdessen ziehen sich die Schweden zu großen geselligen Familienfeiern in die Sommerhäuser aufs Land zurück.

Ein genaues Feierprotokoll gibt es zwar nicht, im Vordergrund steht dabei aber ein zünftiger Rausch – auch weil das Wetter oft recht unwirtlich ist, wie dies die Wetterprognosen für dieses Wochenende genauso verheißen. Üblicherweise startet das Fest bereits am Freitagnachmittag mit einem ersten Trinkritual und mit dem Pflücken von Blumen, die kunstvoll zu Kränzen ins Haar geflochten werden. Die Tische werden mit Blumen und schwedischen Flaggen geschmückt, viele tragen traditionelle Trachten.

Auf einer Wiese steht die festlich dekorierte Mittsommerstange – die Szenerie für traditionelle Tänze und Spiele wie Sackhüpfen. Es ist eine Art Picknick mit Tanz, zu dem man idealerweise Kuchen und schwedische Erdbeeren mitbringt.

Das Abendessen besteht aus in unterschiedlichste Saucen eingelegtem Hering, Jungkartoffeln, gehackten Schalotten und Knäckebrot. Am Wichtigsten sind jedoch Unmengen an gefüllten Schnapsgläschen (Nubbe, eine Art Wodka mit Kräutergeschmack), die nach Möglichkeit auf ex geleert werden sollen. Als Höhepunkt gilt möglichst über offenen Feuerstellen gegrilltes Fleisch und gegrillter Lachs.

Aberglaube und Nachtbad

Jedes nachgefüllte Schnapsglas muss von einem gemeinsam gesungenen Lied begleitet werden. Es gibt unendlich viele alte Schnapslieder, die fast alle mitsingen können. Nach Essen und Gesang geht es zum Tanz zurück auf die Mittsommerwiese. Auf einer von Birken umrahmten Tanzfläche, möglichst mit romantischer Aussicht auf einen See oder gegebenenfalls sogar auf das Meer, fordern Damen und Herren einander zum Tanz auf. Eine Tanzkapelle nimmt Liederwünsche entgegen.

Das Ganze geht bis spät in die Nacht und wird oft mit einem gemeinschaftlichen und ernüchternden Nachtbad im See abgeschlossen. Laut dem Volksglauben können unverheiratete Schwedinnen in der Mittsommernacht davon träumen, wer ihr Zukünftiger sein wird. Sie müssen dazu – ohne miteinander zu sprechen – sieben unterschiedliche Blumensorten pflücken und dabei über sieben Zäune klettern. Die Blumen müssen unter das Kopfkissen gelegt werden.

Wegen des unglaublich hohen Alkoholkonsums artet das Mittsommer-Wochenende mitunter aus. Einst wurde Mittsommer noch zum hellsten Tag des Jahres gefeiert. Aber weil das oft unter der Woche war, und die verkaterten Bürger dann nicht zur Arbeit erschienen sind, hat man sich auf den Freitag nach dem hellsten Tag geeinigt. Dementsprechend ausgestorben ist der Samstag dann im ganzen Land. Alle schlafen.

Gerade zu Mittsommer ereignen sich auf Schwedens Straßen indessen zahlreiche Unfälle mit Todesfolgen, bedingt durch Trunkenheit und chaotische Straßenverhältnisse. Die Polizei führt deshalb umfangreiche Alkoholkontrollen durch. So will man die Unfallrate zumindest ein wenig senken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2015)

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