Japanische Singles: „Schnapp dir einen Beamten“

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Noch nie waren so viele Japaner Singles wie heute. Das Alleinsein der Massen hat ökonomische Gründe und schafft wiederum einen Markt. Vor allem Männer mit sicherem Einkommen sind zur seltenen Ressource geworden.

In Meguro ist die Nervosität bis auf die Straße zu spüren. Aus einer Bar im beschaulichen Stadtteil Tokios tönt verkrampftes Gekicher und schnelles Gerede, immerhin könnte heute der große Tag gekommen sein. Endlich spricht ein cool aussehender Typ durchs Mikrofon und macht dem Warten ein Ende: „Liebe Damen, herzlichen Glückwunsch!“, strahlt er. „Heute habt ihr es mit guten Partien zu tun.“ Leger erklärt Takeshi Hosaka die Regeln, gibt noch Tipps für mögliche Gesprächsthemen und versichert, dass heute jeder zum Zug kommen werde. Dann eröffnet er das Buffet seiner Kuppelparty. Ihr Motto: „Mädchen, schnappt euch einen Staatsdiener!“

Takeshi Hosaka handelt mit dem Versprechen der Liebe, einer der Wachstumsbranchen Japans. Sein Arbeitgeber, die Eventagentur Machi-kon, auf Kuppelpartys spezialisiert, lässt in Tokio fast täglich Veranstaltungen steigen, durch die Mann und Frau zusammenkommen sollen: Mal sind es Kochabende, ein anderes Mal Fußball- und Brettspiele, oder eben eine Verkupplung über den Beruf des Traumpartners – Hauptsache, man wird einem Menschen des anderen Geschlechts vorgestellt. Bei Machi-kon, einem der Marktführer, kommen im Schnitt 70 Teilnehmer, das Geschäft expandiert. Kein Wunder, denn Tokio ist mit 35 Millionen Einwohnern nicht nur die größte Metropole der Welt, sondern zugleich der größte Singlemarkt des Planeten.

Der Anteil der Singlehaushalte in der japanischen Hauptstadt hat mittlerweile 50 Prozent erreicht, 47 Prozent aller japanischen Männer und 35 Prozent aller Frauen zwischen 30 und 34 Jahren sind nicht verheiratet. Ein Phänomen von Wohlstandsgesellschaften, das in Japan wohl seine Zuspitzung findet. Die Mehrheit wünscht sich einen Partner, gibt in Befragungen aber an, keinen zu finden. In Gesprächen ist häufig das Wort Einsamkeit zu hören. Nach Umfragen hätte der Durchschnittsjapaner zwar gern zwei bis drei Kinder, die Geburtenrate aber liegt seit Langem bei 1,4 pro Frau, so gering, dass die Bevölkerung seit Jahren schrumpft. Dies hat zu einem Arbeitskräftemangel und einer alternden Gesellschaft geführt, was ohne Reformen den Sozialstaat in Bedrängnis bringt und aufs Wachstum drückt. Seit Längerem sorgt sich auch die Regierung um diese Entwicklung, und viele Menschen ohnehin.

Die Gäste in Meguro haben sich Essen geholt, die Gespräche haben begonnen. An einem der Tische sitzt Yuki Satou. Ihre Haare hat sie hoch gesteckt, die Schminke verbirgt jeden Makel, denn vom heutigen Abend verspricht sich die 33-jährige Krankenschwester viel, immerhin hat sie 5000 Yen (rund 38 Euro) für das Ticket investiert. „Ich will einen Mann mit sicherem Einkommen. Am liebsten würde ich noch dieses Jahr heiraten“, sagt sie, zwei solchen Typen gegenübersitzend, einem Feuerwehrmann, einem Lehrer. Für diese klare Präferenz schämt sie sich nicht. „So muss es eben sein“, sagt sie wie selbstverständlich. „Sonst kann ich ja keine Kinder haben.“


Bis heute Krise. Als 1990 die größte Spekulationsblase der japanischen Geschichte platzte, fuhr ein ganzes Gesellschaftssystem an die Wand. Japan rutschte in eine teils bis heute währende Krise, geprägt von wirtschaftlicher Stagnation und Mangel an Zuversicht. Der ideale Lebenslauf – eine lückenlose Beschäftigung bis zur Rente – entspricht heute kaum noch der Realität. Mehr als die Hälfte aller Japaner unter 25 Jahren, und rund ein Drittel der gesamten Arbeitsbevölkerung, arbeitet ohne Festanstellung.

In Japan heißt das meist: 40 Prozent weniger Bezahlung als Angestellte, keine Altersvorsorge, kaum Planungssicherheit, eine Sparquote nahe null. Und vor allem für Männer heißt es auch: schlechte Chancen auf dem Heiratsmarkt. Bis heute ist Japans Arbeitsleben so organisiert, dass für Frauen eine Schwangerschaft quasi das Karriereende markiert. Wer sich also Kinder wünscht, ist aus finanziellen Gründen gut beraten, sich an einen Mann mit einem ausreichenden und sicheren Einkommen zu halten. Auch deshalb ist die Geburtenrate niedrig, Hochzeiten sind seltener als früher: Die Männer, die das traditionelle Leben allein stemmen könnten, sind zur seltenen Ware geworden.

Wer verstünde solche Entwicklungen besser als ein Geschäftemacher? In Japan haben in den vergangenen Jahren Kuschelcafés geöffnet, in denen Kunden einen Partner zum Liebkosen mieten. Es gibt Videospiele, in denen eine Liebesbeziehung mit einem Avatar geführt wird. Singles zahlen für Hochzeitsfotos, obwohl sie keinen Partner haben. Etablissements, in denen sich Hosts und Hostessen gegen Geld wie ein charmanter Traumpartner verhalten und bei einigen Getränken die wahre Liebe vorgaukeln, sind ein höchst lukratives Geschäft. Und dann sind da die Kuppelpartys, von denen die Beamtenwahl zu den erfolgreichsten Modellen gehört.


Zehn Prozent. Der Ablauf in der Bar in Meguro ist streng organisiert. Die jungen und nicht mehr ganz so jungen Damen rutschen alle paar Minuten im Rotationsprinzip weiter, um die Herren kennenzulernen, ihre mögliche Lebensversicherung. Takeshi Hosaka, der Matchmaker, schaut sich das Ganze aus der Distanz an. Er führt Buch über die Erfolge seines Unternehmens, das längst nicht mehr der einzige Anbieter ist, der die Liebe verspricht.

Machi-kon sei aber besonders erfolgreich im Verkuppeln: „Statistisch gesehen finden zehn Prozent unserer Kunden einen Partner. Von denen wird wiederum ein Fünftel heiraten.“ Er findet die Quote nicht schlecht, sagt Hosaka. Yuki Satou tauscht am Ende Telefonnummern mit einem Feuerwehrmann aus. „Immerhin“, sagt sie. Für Takeshi Hosaka sind all diejenigen, die leer ausgehen, interessanter. Sie dürften ja wiederkommen, um bald Liebe zu finden, vielleicht.

In Zahlen

1,4Kinder bekommen die Japanerinnen im Schnitt. Das führt zu einem Mangel an Arbeitskräften und der Überalterung der Gesellschaft.

50Prozent der Haushalte in Japans Hauptstadt Tokio sind inzwischen Singlehaushalte. 47 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen zwischen 30 und 34 Jahren sind unverheiratet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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