Strafreduktion: Rumänische Knastliteratur

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Hinter Gittern entdecken zahlreiche prominente rumänische Häftlinge die Schreibfeder. Nicht im Namen von Wissenschaft und Kunst − sondern für sich selbst. Denn wer Bücher schreibt, kommt früher heraus.

Wien. Zwei Nachrichten hat die rumänische Justiz für die politischen Amtsträger des Landes vorbereitet. Die schlechte? Die korrupten Gepflogenheiten führen mittlerweile ins Gefängnis. Die gute? Mit kleinen Kunstgriffen kommt man schnell wieder heraus.

Nur am sozialdemokratischen Premierminister Victor Ponta prallen die Meldungen derzeit ab: Die Antikorruptionsbehörde DNA hatte zwar einen Antrag gestellt, um gegen ihn wegen Interessenskonflikts ermitteln zu können, allerdings hob das von seiner Regierung dominierte Abgeordnetenhaus seine Immunität nicht auf. Ponta hat sein Amt am Wochenende aber vorübergehend zurückgelegt, um sich in Istanbul von einer Knieoperation zu erholen. Ein Manöver, wie es aus informierten Kreisen in Bukarest heißt.

Zahlreiche ehemalige und aktuelle Größen der rumänischen Wirtschafts- und Politikwelt haben sich aufgrund ihrer korrupten Machenschaften indes hinter Gittern wiedergefunden. Und in den Zellen, so scheint es, hat sie die Muse geküsst. Oder der Eigennutz: Denn wer in rumänischen Gefängnissen Bücher verfasst, dessen Haftstrafe wird um 30 Tage pro Werk verkürzt. So steht es im Gesetz.

200 Tage Haft abgewendet

Erst im April hat der Unternehmer und einstige Besitzer des Fußballklubs Rapid Bukarest, George Copos, wegen Steuerhinterziehung und illegalen Spielertransfers zu vier Jahren Haft verurteilt, seine vorzeitige Entlassung erhalten. Im Gefängnis hatte Copos sich mit mehreren Büchern eine Haftreduktion von 200 Tagen erschrieben – dass er zumindest eines der Bücher offenbar plagiiert hat, tut seiner Freiheit vorerst keinen Abbruch. Nicht weniger als drei Werke verfasste auch der Sozialdemokrat Adrian N?stase hinter Gittern, der unter anderem 2012 wegen illegaler Parteifinanzierung und 2014 wegen Bestechung verurteilte ehemalige Premierminister. Der mächtige Geschäftsmann Sorin Ovidiu Vântu, der durch ein Pyramidenspiel reich geworden sein soll, beschäftigte sich in seiner Zelle mit dem Nachwende-Rumänien, jenen gesetzesfreien Jahren, die Männer wie ihn groß gemacht haben. Und Gheorghe Becali, eine Art ultraorthodoxes Rumpelstilzchen der rumänischen Politik, wendete sich spirituellen Themen zu.

N?stase ersparen seine Kreationen insgesamt 105 Tage seiner Strafe, Vântu wird die einjährige Haftstrafe wegen Bestechung um einen Monat gekürzt, Becali kommt ebenso vorzeitig frei.

Sie sind nicht alleine: Seit sich die Justizbehörden 2012 mit der Verhaftung N?stases aus der politischen Umarmung gelöst und sukzessive begonnen haben, den Korruptionssumpf trocken zu legen und korrupte Politiker ins Gefängnis zu schicken, steigen die Publikationen ebendort rasant an. 76 Bücher haben Insassen allein 2014 veröffentlicht und insgesamt 2280 Tage hinter Gittern abgewendet. Bis 2013 hatte die Gefängnisverwaltung stets weniger als zehn Bände gemeldet.

Jedoch mögen viele Bögen gedruckt worden sein, der Qualität der Werke, die eigentlich dem Zwecke der Weiterbildung dienten, hat das wenig geholfen. Zwar sieht der Gesetzestext vor, dass wissenschaftliche Arbeiten produziert werden müssen, eine inhaltliche Überprüfung findet aber nicht statt. Auch deshalb hat die Antikorruptionsbehörde DNA im April im Justizministerium gegen das Prinzip der Buchproduktion als Strafreduktion interveniert. Es sei doch ungewöhnlich, „dass das Gesetz eine Strafverkürzung für eine wissenschaftliche Arbeit in Tagen fixiert, jedoch keine inhaltlichen Kriterien festgesetzt werden“. Eine solche Regelung gäbe es europaweit nur in Rumänien, beklagt die DNA.

Auflage von 200 Exemplaren

Das rumänische Publikum als Korrektiv fällt gleichfalls aus: Vântus Buch erschien mit einer Auflage von 200 Exemplaren – wovon der Autor selbst 160 übernahm, 30 beim Verlagshaus blieben und zehn heute in der Universitätsbibliothek verstauben, wie die rumänische Tageszeitung „România Liber?“ schreibt. Becalis Eindrücke vom griechischen Mönchsberg Athos erreichen bei einer Onlineplattform zwei von fünf Sternen, sind aber immerhin erhältlich, was nicht jeder Knastautor von seinem Werk behaupten kann. N?stase ging immerhin im Sommer 2013 mit seinem zweiten Gefängniswerk über die transatlantischen Beziehungen auf Lesetour, bevor er 2014 in die Zelle zurückkehrte. Während der durchschnittliche rumänische Häftling, des Lesens und Schreibens kaum mächtig, wenig von der Maßnahme profitieren kann, lebt der Ex-Premier wie viele andere Autoren aus der Gefängniselite längst wieder auf freiem Fuß.

Noch während seiner ersten Haftzeit hatte N?stase im Herbst 2012 seinen Gefängnisprimus in erlauchtem Kreis und in seiner Abwesenheit auf der größten Buchmesse des Landes vorstellen lassen. Er trägt den Titel: „Übungen der Freiheit“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

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