Italien: „Große Koalition“ der Mafia regierte Rom

(c) EPA (Giuseppe Giglia)
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Jahrzehntelang haben sich Mafia und Politik auf Kosten der italienischen Hauptstadt bereichert: „Beherrscht“ wurde Rom von einem ungleichen Duo, einem rechtsextremen Ex-Terroristen und einem Sozialdemokraten.

Rom. Starke tausend Seiten soll der Bericht umfassen. Zwischen zwei Verhaftungswellen – die erste im Dezember 2014, die zweite sechs Monate später – haben ihn drei Spezialisten des Innenministeriums erstellt. Nun ist das Werk fertig, bis Oktober muss die Regierung entscheiden. Leitfrage: Ist Rom tatsächlich derart von der Mafia durchseucht, sind dort so viele amtliche Gesetzesbrüche begangen worden, dass Bürgermeister, Gemeinderat und Verwaltung entlassen werden müssen und Rom einen Regierungskommissar als Zwangsverwalter braucht?

Für den Ruf der Ewigen Stadt sieht es desaströs aus: Auf die gut 40 Verhaftungen vor einem halben Jahr folgten jetzt 44 weitere. Betroffen sind Kommunalpolitiker sowie politisch verstrickte Unternehmer. Hatten die Fahnder im Dezember das vordem undurchdringliche, rechte oder rechtsextreme Unterholz des früheren Bürgermeisters Gianni Alemanno (2008–13) gelichtet, so trafen sie nun die regierenden Sozialdemokraten. Mirko Coratti zum Beispiel, Ex-Präsident des Gemeinderats, sitzt in Untersuchungshaft, genauso wie der Assessor für Wohnungsbau, Daniele Ozzimo, und – noch schlimmer für die Partei von Premier Matteo Renzi: Aufgedeckt wurde ein Geflecht von persönlichen Interessen, Bestechung, Selbstbedienung und Betrug.

Öffentliche Funktionsträger, Amtsleiter, Politiker und Gemeinderäte wie Coratti standen regelrecht auf der Gehaltsliste der Mafia. Bezahlt wurden zwischen 1000 und 20.000 Euro monatlich. „Man muss die Kuh füttern, bevor man sie melken kann“, sagte „Boss“ Salvatore Buzzi am Telefon. Buzzi war der „Linke“ in der Hauptstadt-Mafia; der Zweite war der im rechtsextremen Milieu groß gewordene Massimo Carminati. „Rot“ und faschistisch „Schwarz“ ergänzten sich in der „Mafia Capitale“ so perfekt, dass sie über alle politischen Wechselfälle hinweg ihre Geschäfte machen konnten. „In der römischen Gesellschaft gibt es keine Antikörper gegen die Mafia“, sagt Journalist Lirio Abbate. Er hat ein Jahr vor den ersten Verhaftungen die wahren „Könige Roms“ beschrieben, und – wie er sagt – im Prinzip nur eines erreicht: „Als die Leute erfahren haben, was Carminati so alles hinkriegt, da sind noch viel mehr Römer zu ihm gepilgert.“

Gute Gefängniskontakte

War Carminati der Troubleshooter, so leitete Buzzi das Wirtschaftsimperium der „Mafia Capitale“. 1980 wegen Mordes verurteilt, dann zum Musterhäftling avanciert, hatte sich Buzzi schon aus dem Gefängnis in der linken Hälfte der Politik dermaßen gut vernetzt, dass ihm nach seiner – vorzeitigen – Entlassung alle Türen offen standen. Buzzi gründete, häufig mit Ex-Häftlingen, zahlreiche Kooperativen, die der Stadt beim Bewältigen aller möglichen Notlagen halfen: vom Schneeräumen über die Müllentsorgung bis zur Unterbringung von Asylbewerbern. Ein Imperium von 1200 Angestellten und 60 Millionen Euro Jahresumsatz kam zustande – allerdings an der Legalität vorbei und gegen Provision.

Durch sein Bündnis mit Carminati und durch konsequente mafiöse „Beziehungspflege“ erhielt Buzzi einen öffentlichen Auftrag nach dem anderen, alles ohne Ausschreibung und Kostenprüfung. Großaufträge wurden in so kleine Pakete zerteilt, dass die Machenschaften nicht aufflogen, und wenn es dazu – oder für die angeblich „rein notlagenbedingte“ Sonderfinanzierung von Arbeiten – eines speziellen Gemeinderatsbeschlusses bedurfte, über das offizielle Stadtbudget hinaus, dann wusste Buzzi, dass er ein paar Leute anrufen musste. Journalist Abbate rechnete nach: „All diese Aufträge hätten den Steuerzahler im Normalfall 40 bis 50 Millionen Euro gekostet; Buzzi erhielt 150 Millionen.“

Während sich die Ermittlungen auch gegen Ex-Bürgermeister Alemanno richten, gilt sein heutiger Nachfolger, der Sozialdemokrat Ignazio Marino, derzeit als beinahe einziger Kommunalpolitiker, dem niemand persönlich eine Verfehlung anhängt. Den Sohn eines sizilianischen Vaters rettet die Gnade der fernen Geburt; „für die Römer“, sagt Marino gerne, „bin ich eine Art Marsmensch.“ Das Volk hat ihn 2013 gewählt, die eigene Partei hätte ihn um ein Haar gleich wieder aus dem Amt gemobbt. Mittlerweile, sagen Kommentatoren, sei auch klar, warum: Der Ortsfremde habe Geflechte aufgedeckt, die lieber keiner sehen wollte.

Bürgermeister unter Druck

Doch jetzt scheint es selbst Marino an den Kragen zu gehen. Renzi, der bei Regionalwahlen einen starken Dämpfer erhielt, will wieder einmal „Zeichen der Erneuerung“ setzen. So plant er, die Verwaltung in die „sauberen“ Hände von Franco Gabrielli zu legen. Der Ex-Leiter des Inlandsgeheimdienstes wurde Chef des nationalen Katastrophenschutzes, als nach dem Erdbeben von L'Aquila 2009 just diese für Aufarbeitung und Wiederaufbau entscheidende Behörde in einem Korruptionsskandal unterzugehen drohte. Auch für die Bergung der Costa Concordia war Gabrielli als oberster Staatsfunktionär zuständig. Das passt wunderbar für die Ewige Stadt dieser Tage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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