Neuer Rekord an Flüchtlingen

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Rund 137.000 Menschen sind seit Jänner über das Meer in die EU geflohen, fast doppelt so viele wie vor einem Jahr. Die allermeisten lassen Krieg und Verfolgung hinter sich.

Wien/Genf. Diese Zahlen brechen alle bisherigen Rekorde: Fast doppelt so viele Menschen wie im Vorjahr versuchten heuer, über das Mittelmeer Europa zu erreichen. Und die allermeisten fliehen nicht vor Wirtschaftsmiseren, wie oft behauptet wird. Sondern vor Krieg und Verfolgung. Das geht aus einem neuen Bericht hervor, den das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf präsentierte.

Die konkreten Zahlen: Allein in der ersten Jahreshälfte versuchten 137.000 Menschen, übers Meer nach Europa zu gelangen: Das sind um 83Prozent mehr als im Vorjahr. Diese Zahl könnte bis Dezember noch rasant ansteigen, denn die „Hochsaison“ für die Flucht über das Meer hat gerade erst begonnen. Zum Vergleich: 2014 verdoppelte sich in der zweiten Jahreshälfte gegenüber den ersten sechs Monaten die Anzahl der Menschen, die an den Küsten Italiens, Griechenlands, Maltas und Spaniens strandeten.

Hauptantrieb für die Massenfluchtwelle ist der brutale Bürgerkrieg in Syrien, der nun seit mehr als vier Jahren tobt. Jeder dritte Flüchtling, der heuer über das Meer nach Italien und Griechenland kam, stammt aus dem arabischen Land. Ganze Familien fliehen vor dem Terror von Islamisten, Rebellenmilizen und den Truppen des Assad-Regimes, die das Land in Schutt und Asche legen und bereits weit mehr als 200.000 Syrer umgebracht haben. Kinder, Babys, schwangere Frauen und ältere Menschen befinden sich auf den überfüllten Schlepper-Booten.

Recht auf Schutz in der EU

Fast alle haben aufgrund internationaler Vereinbarungen Recht auf einen Flüchtlings- oder anderen Schutzstatus in der EU. Doch dafür müssen sie erst einmal die Union erreichen: Denn nur dort können sie ihren Antrag auf Aufenthalt, Schutz oder Asyl stellen. EU-interne Regeln machen ihre Odyssee noch komplizierter: Ein Asylantrag darf nur in jenem EU-Staat gestellt werden, in den der Flüchtling erstmals innerhalb der Union seinen Fuß setzte – de facto nur in einem Land an der EU-Außengrenze.

Auch beim Großteil der Migranten aus Afghanistan und Eritrea – aus diesen Ländern kommen nach Syrien die meisten Menschen – müsste eigentlich in Europa der Flüchtlingsstatus anerkannt werden. Denn Verfolgung und Terror gibt es sowohl im isolierten nordostafrikanischen Land als auch am Hindukusch. Erst unlängst hat die UNO in einem Bericht über Eritrea, „dem Nordkorea Afrikas“, die Brutalität des Regimes beschrieben: Von Unterdrückung, Massenvergewaltigung, Folter und willkürlichen Hinrichtungen ist da die Rede. Der verpflichtende lebenslängliche Militärdienst komme de facto einer Versklavung gleich, heißt es. Landesflucht gilt als Verbrechen. Trotzdem versuchen monatlich bis zu 5000 Menschen zu fliehen.

Und auch in Afghanistan ist 14 Jahre nach dem Sturz des fundamentalistischen Taliban-Regimes die Lage alles andere als stabil: Weite Teile des Landes werden weiterhin von den radikalen Islamisten kontrolliert. Afghanen, die nachweislich vor Verfolgung und dem islamistischen Terror fliehen, haben das Recht auf Schutz und Aufenthalt in Europa.

Neue Fluchtroute über Türkei

Verändert haben sich aber nicht nur die Haupt-Fluchtgründe (Krieg, Verfolgung statt Armut), sondern auch die Routen: Die meisten Menschen aus Afrika versuchen nun, über die Türkei nach Griechenland in die EU zu gelangen – oder verstärkt über die Balkan-Route (Serbien/Mazedonien/Ungarn). Grund sind vermutlich die intensiveren Patrouillen im westlichen Mittelmeer einerseits und die immer gefährlichere Lage in Libyen anderseits, das lange das wichtigste Transitland für Migranten in Nordafrika war.

Europa konzentriert sich indes vor allem darauf, über das Schicksal der Flüchtlinge zu streiten: Italien ist gerade mit seiner Forderung nach einer verpflichtenden Quote gescheitert, geeinigt haben sich die EU-Staaten lediglich auf die freiwillige Umverteilung von 40.000 Flüchtlingen. Die osteuropäischen und baltischen Staaten, die bisher nur selten das Ziel von Migranten sind, führten den Widerstand gegen eine verpflichtende Quote an. Dazu UN-Flüchtlingskommissar António Guterres: „Europa muss klar sein: Diese Menschen suchen Schutz vor Krieg.“

(c) Die Presse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2015)

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