Juristische Geschütze im Ukraine-Krieg

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In Südrussland beginnt heute der Mordprozess gegen die ukrainische Militärpilotin Nadja Sawtschenko. Internationale Beobachter kritisieren das Verfahren als Schauprozess.

Wien/Moskau. In der Ukraine wird sie als Heldin verehrt, in Russland porträtieren Medien sie als eiskalte Kriegerin: Nadeschda Sawtschenko, Nadja genannt, die in russischer Untersuchungshaft einsitzende ukrainische Militärpilotin, eine zierliche 34-Jährige mit braunem Kurzhaarschnitt. Am heutigen Donnerstag beginnt in der südrussischen Stadt Donezk (sie trägt den gleichen Namen wie die Donbass-Metropole) der Prozess gegen Sawtschenko. Ihre drohende Verurteilung dürfte die Gräben zwischen Kiew und Moskau weiter vertiefen.

Die russische Staatsanwaltschaft wirft Sawtschenko „Mord mit dem Motiv des politischen Hasses“ und illegalen Grenzübertritt vor, ihr drohen bis zu 25 Jahre Haft. Russland macht sie für den Tod zweier Journalisten am 17. Juni 2014 verantwortlich, die nahe der ostukrainischen Stadt Luhansk durch Granatbeschuss starben.

Über die Grenze gebracht

Sawtschenko, die aufseiten des Freiwilligenbataillons Aidar kämpfte, habe dem ukrainischen Militär den Aufenthaltsort der Journalisten Igor Korneljuk und Anton Woloschin mitgeteilt, woraufhin das Militar das Feuer auf sie eröffnete. Daraufhin habe Sawtschenko als Flüchtling verkleidet die Grenze zu Russland passiert, wo sie festgenommen wurde. Die Frau, die für die ukrainische Armee im Irak im Einsatz gewesen war, hat dies stets bestritten und ist aus Protest im Winter in einen mehr als 80-tägigen Hungerstreik getreten.

Dass Sawtschenko aus freien Stücken die Grenze zur Russischen Föderation überquert hat, bezweifeln auch internationale Beobachter. Stefan Schennach (SPÖ), der im Europarat Vorsitzender des Monitoring-Komitees ist, spricht von „Kidnapping“. In seinem Bericht beschreibt er, wie Sawtschenko von Bewaffneten der „Luhansker Volksrepublik“ gefangen genommen und am 24. Juni illegal nach Russland transferiert wurde. Schennach hat sich für eine Auslieferung Sawtschenkos an ein Drittland und eine unabhängige Untersuchung starkgemacht. Doch Moskau war dazu nicht zu bewegen. „Das Verfahren riecht nach einem politischen Schauprozess“, sagt Schennach zur „Presse“. „Damit tut sich Russland nichts Gutes.“

Sawtschenkos Verteidiger, Ilja Nowikow, geht im Telefongespräch mit der „Presse“ von einer Verurteilung Sawtschenkos aus. „Das russische Gericht arbeitet nach eigenen Gesetzen“, sagt er. „Das Urteil ist schon geschrieben.“ Dennoch sei der Prozess eine Chance, Beweise für die Unschuld seiner Mandantin vorzulegen. Sawtschenko habe ein „100-prozentiges Alibi“.

Nowikow will mittels der Auswertung von Mobilfunkdaten und einem Video das Gericht davon überzeugen, dass die Pilotin nicht in der Lage gewesen sei, an der Tötung der Journalisten mitzuwirken. Er könne mittels Ortung von Sawtschenkos Handy nachweisen, dass die 34-Jährige bereits auf dem Gelände eines Separatistenbataillons festgehalten wurde, als der Beschuss stattfand. Ein Video, das Sawtschenko in Gefangenschaft zeigt, sei ebenfalls um diese Zeit angefertigt worden. Anwalt Nowikow erwartet das Urteil bis 20. August.

Prozesse gegen Krim-Aktivisten

Ein weiterer kontroverser Prozess findet derzeit 170 Kilometer weiter südlich in Rostow am Don statt. Seit der Vorwoche steht der ukrainische Filmregisseur Oleg Sentsow wegen Verdachts auf Terrorismus vor Gericht. Dem 39-Jährigen wird vorgeworfen, im Frühling 2014 in Simferopol eine Zelle des in Russland verbotenen Rechten Sektors gegründet und zwei Anschläge auf Büros prorussischer Organisationen verübt zu haben. Ihm und seinem Mitangeklagten, Alexander Koltschenko, drohen bis zu 20 Jahre Haft. Substanzielle Beweise haben die Behörden bislang nicht vorgelegt. Auch Sentsows Anwalt, Dmitrij Dinse, spricht gegenüber der „Presse“ von einem „Schauprozess, bei dem das Urteil bereits feststeht“. Während der U-Haft sei sein Mandant gefoltert worden. Die Ermittler weisen dies zurück: Sentsow habe sich wegen einer sadomasochistischen Veranlagung selbst verletzt.

Die aktuellen Gerichtsverfahren stellen eine juristische Nebenfront im – ungeklärten – militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine dar. Moskau setzt – wie etwa bei Prozessen gegen Oppositionelle – auf das Drohpotenzial seiner Justiz. Indes hat auch Kiew seinen Einsatz im Fall Sawtschenko erhöht: Die Pilotin wurde im Herbst 2014 ins Parlament gewählt und hat nun auch einen Sitz im Europarat. Internationale Politiker verlangen ihre Freilassung. Sawtschenko und die Krim-Aktivisten sind ein wertvolles Faustpfand. „Russland will diese Verfahren durchziehen“, sagt Stefan Schennach. Er rechnet erst nach Prozessende mit Chancen für diplomatische Vermittlung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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