Albtraumabenteuer: In Seenot mit hungrigen Eisbären

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Ein Hubschrauberpilot, der die Welt umrunden wollte, fiel vor Kanada ins Meer, rettete sich auf Treibeis - und wehrte tagelang Eisbären durch Herumbrüllen ab. Er überlebte.

Einen Hubschrauberabsturz über der von Treibeis durchsetzten Davis Strait, der Meerenge zwischen Grönland und der Baffin-Insel (Kanada), zu überleben, grenzt bereits an ein Wunder. Was der russische Pilot Sergej Ananov dann aber er- bzw. überlebt hat, macht seine Geschichte noch bemerkenswerter: Auf der Eisscholle, auf die er sich gerettet hat, sind drei Eisbären aufgetaucht. Diese Spezies wird gern als Kuscheltier und Umweltschutz-Idol dargestellt, ist aber eines der gefährlichsten Raubtiere der Welt, das auch Menschen attackiert.

Der Absturz ereignete sich bereits vor mehr als einer Woche, doch erst kürzlich wurde die Sache bekannt – und wie viel Glück der 49-Jährige gehabt hatte. Ananov hatte Mitte Juni in Moskau seine Reise mit dem weniger als eine Tonne wiegenden Hubschrauber begonnen (Modell R22 des US-Herstellers Robinson, ca. 190 km/h schnell bei vielleicht 450 km Reichweite). Er wollte etwa entlang des Polarkreises um die Welt fliegen und damit einen neuen Rekord für Kleinhubschrauber aufstellen.

In Iqaluit, der Hauptstadt des kanadischen Arktis-Territoriums Nunavut, das auch Baffin Island umfasst, hat Ananov einen von vielen Stopps eingelegt, getankt und in Richtung Grönlands Hauptstadt Nuuk abgehoben. Aber die Reise endet rasch: Wie Ananov nach seiner Rettung über Telefon vom kanadischen Eisbrecher Pierre Radisson aus berichtet, ist ein Riemen gerissen, der Rotoren und Steuerung mit dem Motor verbindet. Der Hubschrauber verlor an Höhe und geriet außer Kontrolle. Mit viel Glück gelang eine halbwegs sanfte Landung im Wasser nahe einer großen Eisscholle. Es gelang ihm, ein Rettungsfloß, ein Überlebenspaket und drei Leuchtraketen aus dem Cockpit mitzunehmen, nur halb mit einem roten Neoprenanzug bekleidet schwamm er zu einer größeren Eisscholle und konnte mit den paar Sachen auf das Eis klettern, während der Helikopter rasch versank.

Veitstanz als Bärenschreck

Er war nass und unterkühlt und lag auf dem Eis „wie ein Fisch im Supermarkt“, erzählt er. Er zog seinen Taucheranzug ganz an und verkroch sich unter das Floß, um Schutz vor dem Wind zu haben. Bereits nach wenigen Stunden hörte er das Geräusch eines Flugzeugs, denn die Suche nach ihm hatte kurz nach dem Absturz begonnen. Er feuerte zwei Leuchtraketen ab, aber im Nebel sah sie niemand.

Auf den Eisschollen der Davis Strait und Baffin Bay tummeln sich Eisbären, und da sie neugierig und fast immer hungrig sind, sind sie Ananov sehr nahe gekommen. Er lag unter dem Floß und ahnte nichts von der Gefahr, bis er einen Bären hörte. „Ich sah ihn nicht, aber ich hörte seinen Atem.“ Vielleicht einen Meter war der Bär von ihm entfernt, berichtet Ananov. Er sprang auf, brüllte und ruderte wie wild mit Armen und Händen. Und das zog: Erschrocken trollte sich der Bär.

Der Russe sollte aber nicht lang Ruhe haben. An diesem und dem nächsten Tag kamen zwei weitere Eisbären auf seine Scholle. „Wie ein roter Teufel“ sei er herumgesprungen, erzählt Ananov, und das war auch diesen Bären nicht geheuer, und sie machten sich von dannen.

Die letzte Leuchtrakete

Etwa 36 Stunden nach dem Absturz fanden ihn Suchmannschaften. Die Crew der Radisson sah den schon verlöschenden Schein der letzten Leuchtrakete, die Ananov abgefeuert hatte, im Nebel. „Mein Offizier sah das Flackern über dem Eis, wir sahen die letzte Sekunde. Fast hätten wir es verpasst“, erzählt Stéphane Julien, Commander der Radisson.

Ein Hubschrauber wurde geschickt, der Ananov barg und auf das Schiff brachte. Einige Tage später lief der Eisbrecher der Küstenwache wieder in Iqaluit ein.

Noch einen Tag auf dem Eis hätte er wahrscheinlich nicht überlebt, erzählte der Abenteurer, der Glück im Unglück hatte. „Meine Hoffnung schwand.“ Vielleicht hätte sich ein vierter Eisbär nicht mehr von Ananovs wildem Tanz auf dem Eis abschrecken lassen. Auf die Fortsetzung seiner Weltumrundung muss er jedenfalls verzichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2015)

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