Amnesty und der Kampf für legale Prostitution

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Die Organisation entdeckt wieder ein neues Thema für sich und will den Missbrauch von Prostituierten verhindern. Frauenrechtlerinnen sind entsetzt: Damit mache sich Amnesty zum Helfer der globalen Sexindustrie.

London/Wien. Amnesty International hat sich ein umstrittenes neues Thema auf die Fahnen geschrieben: Prostitution. Künftig will sich die global agierende Menschenrechtsorganisation dafür einsetzen, dass Sexarbeit, so der politisch korrekte Ausdruck, weltweit legalisiert wird. Einen solchen Grundsatzbeschluss haben AI-Delegierte aus allen Ländern bei einem Treffen in Dublin gefasst. Während Sexarbeitervereinigungen die Entscheidung bejubelten, herrscht unter Aktivistinnen für Frauenrechte blankes Entsetzen.

„Amnesty will Zuhälter schützen!“ titelte die deutsche Zeitschrift „Emma“ von der Frauenrechtsikone Alice Schwarzer. Durch die Forderung, Zuhälter und Bordellbetreiber nicht mehr zu verfolgen, liefere man die Frauen in der Prostitution nur noch stärker aus. Tausende unterzeichneten im Vorfeld eine Online-Petition der Internationalen Koalition gegen Frauenhandel (CATW) gegen die AI-Pläne, darunter die Oscar-Preisträgerinnen Kate Winslet, Meryl Streep und Emma Thompson: Damit würden die Machenschaften von Menschenhändlern erleichtert – und der Ruf von AI irreparabel beschädigt. Im „Guardian“ fragte die Menschenrechtsanwältin und frühere AI-Beraterin Jessica Neuwirth: „Ist Amnesty von den Befürwortern des globalen Sexgeschäfts gekapert worden?“

„Ständiges Risiko von Missbrauch“

AI argumentiert dagegen, gerade die Kriminalisierung von Prostitution begünstige Menschenrechtsverletzungen. „Prostituierte sind eine der am meisten vernachlässigten Gruppen in der Welt, die in den meisten Fällen ständig dem Risiko von Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind“, so AI-Generalsekretär Salil Shetty. Die Organisation hat nach eigenen Angaben mit Betroffenen aus vielen verschiedenen Ländern gesprochen: Wo Prostitution verboten sei, gebe es deutlich mehr Stigmatisierung und Gewalt gegen die Frauen und Männer – dazu zählten auch Übergriffe durch die Polizei.

Der Vorstoß wird von Organisationen wie der Weltbank und dem UN-Programm zu HIV/Aids (UNAIDS) unterstützt. Auch Manfred Nowak, Professor für internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien, begrüßte die AI-Position im Gespräch mit der „Presse“: „Bei einem Verbot der Prostitution versucht der Staat, Prostituierte gegen sich selbst zu schützen – und dadurch verletzt er deren Recht auf Privatheit.“ Das gelte allerdings nicht, wenn Zwang im Spiel sei, wie bei Kinderprostitution oder beim Menschenhandel. „Außerdem führt ein Verbot der Prostitution erfahrungsgemäß dazu, dass sie in den Untergrund gedrängt wird, mit allen Folgeproblemen.“

In der polarisierten Debatte um den Umgang mit Prostitution schlägt die Entscheidung auch deshalb so hohe Wellen, weil Amnesty weltweit über große Macht verfügt: Kaum eine andere NGO ist in der Lage, so viele Menschen zu mobilisieren – und damit so viel Druck auf Regierungen auszuüben. Was die Londoner Zentrale des Global Players unter den Menschenrechtsorganisationen vorgibt, beeinflusst die Meinungen von Menschen auf der ganzen Welt. Zu Prostitution eine so klare Stellung zu beziehen kann die ganze Debatte verändern.

Wahlloser Bauchladen

Die Entscheidung ist auch Wasser auf die Mühlen von Kritikern, die Amnesty vorwerfen, sich inzwischen fast wahllos einem ganzen Bauchladen von menschenrechtlichen Themen zuzuwenden – und zu ideologisch zu agieren. Ursprünglich setzte sich die 1961 gegründete Organisation für die Rechte von politischen Gefangenen ein. Heute zählen auch Folter, Todesstrafe, Abtreibungsgesetze und die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden zur breiten Themenpalette. Erst kürzlich besuchte ein AI-Team das Aufnahmezentrum Traiskirchen.

Der renommierte US-Völkerrechtler Francis Boyle, der früher selbst bei AI aktiv war, hat den Londoner Aktivisten einmal vorgeworfen, die öffentliche Aufmerksamkeit stehe an erster Stelle, dann kämen Spendengelder und die Anwerbung von neuen Mitgliedern – Menschenrechte erst später. Mit dem neuen Fokus auf Prostitution ist es Amnesty gelungen, sich die Aufmerksamkeit der internationalen Medien zu sichern; im Kampf um die öffentliche Meinung steht die Organisation auch in Konkurrenz zu anderen Hilfsorganisationen wie Human Rights Watch. Noch ist aber nicht klar, ob sich der umstrittene Beschluss zur Prostitution auch positiv auf Mitglieder und Spenden auswirken wird.

AUF EINEN BLICK

Amnesty International will dafür kämpfen, Prostitution nicht mehr zu kriminalisieren. Prostituierte seien einem „ständigen Risiko der Diskriminierung, Gewalt und des Missbrauchs“ ausgesetzt. Der Beschluss bezieht sich nur auf einvernehmlichen Sex zwischen Erwachsenen; Sex mit Minderjährigen, Zwangsprostitution und Frauenhandel sollen weiter bekämpft werden. Kritiker halten dagegen, dass „Freiwilligkeit“ in der Prostitution generell hinterfragt werden müsse; es handele sich immer um Ausbeutung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.08.2015)

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