Roms ewiger Kampf gegen den Mafia-Filz

An ornate hearse pulled by six, black-plumed horses, carries the body of Vittorio Casamonica to a Roman Catholic basilica in the Rome suburbs, where the funeral mass was celebrated
An ornate hearse pulled by six, black-plumed horses, carries the body of Vittorio Casamonica to a Roman Catholic basilica in the Rome suburbs, where the funeral mass was celebrated(c) REUTERS (STRINGER/ITALY)
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Die Regierung hat den Bürgermeister der Hauptstadt entmündigt – Ignazio Marino ist nur mehr für den Verkehr zuständig. Im Stadtteil Ostia übernimmt ein erfahrener Mafiagegner die Geschäfte.

Rom. So tief im Schlamassel ist Rom schon lang nicht mehr gesteckt. Der Sinti- und Mafiaclan Casamonica sorgt mit der pompösen Beerdigung seines „Königs“ für nacktes Entsetzen. Der Mafiaverdacht richtet sich gegen zahlreiche Politiker und Funktionäre der Stadt; einige schmoren in Untersuchungshaft. Vor lauter Mafia-Filz unregierbar sind die Hafenvorstadt Ostia und ihre derzeit von Millionen Badetouristen belagerten Strände.

Und in der Stadtkasse finden sich statt Geld nur Löcher. Der Stress wächst von Tag zu Tag, denn am 8. Dezember will Papst Franziskus sein Heiliges Jahr der Göttlichen Barmherzigkeit starten. Erwartet werden 25 Millionen Pilger, aber die Empfangs- und Infrastruktur ist so löchrig wie die römischen Straßen. Zu allem Überfluss hat sich die strapazierte Hauptstadt auch noch um die Olympischen Spiele 2024 beworben. Nun ist die Regierung massiv eingeschritten. Innenminister Angelino Alfano hat die Stadtverwaltung unter Kuratel gestellt. Der ungeliebte, wenn auch unbelastete Bürgermeister Ignazio Marino (60), der die heißesten Tage seiner mittlerweile zweijährigen Amtszeit ungerührt im Amerika-Urlaub verbringt, ist laut Regierungsbeschluss vom Donnerstag praktisch nur noch für Verkehrsprobleme zuständig.

Den Rest der Stadtverwaltung und -sanierung übernimmt Präfekt Franco Gabrielli (55), jener frühere Geheimdienstmann, der sich zuletzt mit der Bewältigung der Erdbebenfolgen in L'Aquila – 312 Tote im April 2009 –, mit der erfolgreichen Beseitigung des Costa-Concordia-Wracks und mit der Führung des nationalen Katastrophenschutzes empfohlen hat. Und über die lukrativen Aufträge im Volumen von zunächst 80 Millionen Euro, die zur Vorbereitung des Heiligen Jahres in höchster Eile zu vergeben sind, wacht nun der Chef der Nationalen Antikorruptionsbehörde, Raffaele Cantone, höchstpersönlich. Die Mafia soll wenigstens bei diesem Prestige-Ereignis draußen bleiben.

Keine Antikörper entwickelt

Mit der weit reichenden Entmachtung der demokratisch gewählten Stadtführung in Rom vermeidet die Regierung am Rand ihrer gesetzlichen Befugnisse eine weit drastischere Maßnahme: die gänzliche Auflösung von Marinos Kabinett sowie des Stadtparlaments, wie sie für mafiaverseuchte Gemeinden in Italien normalerweise vorgesehen ist. Aufgelöst wird dennoch: Zumindest der Stadtteil Ostia kommt für vorerst 18 Monate unter die Leitung eines im Kampf gegen die Mafia erfahrenen Regierungskommissars.

Ostia mit seinen 100.000 Einwohnern ist die zweitgrößte kommunale Einheit Italiens, der diese Behandlung widerfährt. Größer war bisher nur die süditalienische Regionalhauptstadt Reggio Calabria. Deren Verwaltung musste 2012 wegen Verquickung mit der ‘Ndrangheta entlassen werden – zu einer Zeit, in der in Rom sogar hohe Polizeifunktionäre und Politiker noch behaupteten, in der Hauptstadt gebe es keine Mafia. „Man hat die Mafia flächendeckend und kollektiv verschwiegen, weil sich Rom als stolze Hauptstadt nicht eingestehen wollte, dass sie davon befallen war“, sagt die frühere Justizministerin Paola Severino. Und „Antikörper“, so heißt es heute resigniert, habe Roms Gesellschaft auch nicht entwickelt.

In Ostia etwa teilen sich einheimische Clans und die sizilianische Cosa Nostra die Geschäfte: millionenschwere Lizenzen für Strandbetriebe, Kinos, Diskotheken und Restaurants – und die Geschäfte sind verfilzt mit der Stadtteilverwaltung. Der rechtskonservativen Bürgermeister Gianni Alemanno (2008–2013) wollte noch die monströse Waterfront aus Einkaufsmeilen und Unterhaltungsbetrieben umsetzen, aber das Projekt ist nun abgeblasen und gegen Alemanno wird wegen Mafiaverdachts ermittelt.

Rosenregen für Mafiapaten

Die Casamonica hingegen, die sich dem Finanzamt gegenüber als mittellos ausgab, lebte und lebt von Drogenhandel, Schutzgelderpressung und Wucher. 82 Clanmitglieder befinden sich laut Polizei unter „spezieller Beobachtung“ – und trotzdem haben sämtliche Kontrollmaßnahmen versagt, als die Casamonica vor einer Woche ihren als „König von Rom“ titulierten Boss Vittorio begrub. Der kilometerlange Leichenzug auf einer der größten Ein- und Ausfallstraßen Roms, die barocke, sechsspännige Kutsche, der Hubschrauber, der ganze Wolken roter Rosenblütenblätter über dem Kirchplatz abwarf – das war als provokative Inszenierung alles minutiös geplant. „Aber von den örtlichen Sicherheitskräften sind keine Informationen nach oben gegeben worden“, hält der Sicherheitschef fest. Und der Helikopter, der ohne Genehmigung über das Stadtgebiet geflogen kam? „Wär's ein Terrorist gewesen, so wäre es ein Problem geworden. Für uns alle.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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