Feinde im Radfahrparadies

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Die Stadt Portland im Bundesstaat Oregon gilt als radlerfreundlichste Stadt der USA. Die hohe Zahl an Zweiraddiebstählen lässt die Radler zu unkonventionellen Lösungen greifen.

Susie Neighbors verpasste Jonathan Dubois um 30 Sekunden. Es wäre ein merkwürdiges Treffen gewesen, sie, die sommersprossige Immobilienhändlerin im Sportoutfit, und er, der Drogenabhängige mit dem rotblonden Wuschelhaar, an einem silbernen Fahrradständer vor Neighbors' Fitnessclub am gut situierten Ende der Salmon Street, dort, wo Eichen die Straße säumen und die Luft um ein paar Grad abkühlen, außerhalb der hektischen Downtown Portlands.

Als die 56-Jährige an einem Freitag Ende Juli nach ihrem Längenschwimmen aus dem Club kam, lag ihr Rad auf dem Boden. Das Vorderrad fehlte, die Gabel, die Bremsen ebenso. Das schwarze, einst teure Bike lag auf dem Boden wie ein einbeiniger Krieger, geschunden und entwürdigt. Der 29-jährige Obdachlose war mit seiner Beute längst weg. Der Polizist, den Neighbors rief und der nach einer Stunde den Weg zum Fitnesstudio fand, zeigte keinen besonderen Ehrgeiz beim Protokollieren des Falls: Fahrraddiebstähle ereigneten sich jeden Tag in Oregons Metropole, und die Polizei sei für vernünftige Ermittlungen zu schlecht ausgestattet, erklärte er. Der Beamte riet Susie Neighbors, in einem Brief an den Bürgermeister die Aufstockung von Polizeistreifen zu fordern. Susie Neighbors schlief schlecht in jener Nacht. Dann entschied sie: Sie würde sich nicht mit dieser Misere abfinden.


Hunderte Kilometer Radwege. Portland, eine Stadt im Nordwesten der USA mit knapp 600.000 Einwohnern, gilt als die Fahrradmetropole der Vereinigten Staaten. Die Zeitschrift „Bicycling“ wählt die Stadt seit Jahren zur fahrradfreundlichsten Stadt landesweit. Vorbildlich markierte Radwege in einer Länge von 319 Meilen – mehr als 500 Kilometer – ziehen sich durch die Straßen. Mit einem Anteil von sechs Prozent an täglichen Fahrradpendlern liegt die Stadt fast gleichauf mit Wien, wo sieben Prozent der Wege mit dem Fahrrad erledigt werden. Für Europa mag dieser Anteil nicht besonders hoch sein – Kopenhagen hat laut dem aktuellen „Copenhagenize Index“ einen täglichen Radleranteil von 45 Prozent –, aber für die autofixierte US-Verkehrskultur ist es ein Spitzenwert. Landesweit liegt der Fahrradpendleranteil in den USA bei 0,5 Prozent.

Die Radlerinfrastruktur Portlands ist vorbildlich: Es gibt Dutzende Fahrradläden, die neben Reparaturarbeiten modebewusste Radfahrer auch mit den neuesten Modellen an Helmen, Taschen und Trinkflaschen ausstatten. Portland ist stolz auf seinen Zweirad-Lifestyle, der mitunter recht direkt – „in your face“ – sein kann, wie der alljährliche „Naked Bike Ride“ beweist.

Schwer verfolgbar. Doch der Boom der Bicycle Culture hatte auch negative Folgen: Fahrraddiebstahl. Während seit 1995 angezeigte Verbrechen wie Einbruch, häusliche Gewalt, Autodiebstahl oder Vandalismus abgenommen haben, sind Raddiebstähle steil angestiegen. Seit 2009 sogar um 130 Prozent – eine Steigerung, die sich nicht mit der Zunahme an Radlern erklären lässt.

Michael Andersen, Redakteur beim Fahrradblog „BikePortland.org“, nennt das Fahrrad „die perfekte Schmugglerware“: „Es ist leicht verkäuflich, kann neu ausgestattet und bemalt werden.“ Als Diebesgut sei es „schwer zu verfolgen“. Nur in wenigen Fällen gelingt es der Polizei, Fahrraddiebe ausfindig zu machen. Diebstahlsanzeigen dauern zu lange – inzwischen ist das Diebesgut meistens schon weiterverkauft. Bike-Aktivisten greifen daher zur Selbsthilfe: In Online-Datenbanken wie „Project 529“ und „Bikeindex“ kann man sein Rad samt Seriennummer und genauer Beschreibung registrieren; ist es weg, geht eine Meldung über soziale Medien hinaus. Die Bike Community ist wachsam: So ist es bereits einigen Radfahrern gelungen, ihr Rad „zurückzustehlen“, nachdem es etwa unter Brücken in inoffiziellen Zwischenlagern entdeckt wurde. David Bryant, ein muskelbepackter Polizeibeamte bei der im März eingerichteten „Bike Theft Task Force“ und selbst Radfahrer, erklärt, dass viele Drogenabhängige zu den notorischen Fahrraddieben gehörten: „Meist sind es Crystal-Meth-Süchtige, die auf der Straße leben.“ Mit dem Verkauf der Räder finanzierten sie ihre Sucht. Drogendiebe und gut situierte Fahrradfahrer – beide leben sie in Portland, aber in zwei getrennten Welten. Am Fahrradständer kreuzen sich ihre Wege.

Susie Neighbors erreichte über die Medien, dass „ihr“ Raddieb gefasst wurde: Der Diebstahl, den sie knapp verpasste und der nur 85 Sekunden dauerte, wurde von einem Überwachungsvideo festgehalten. Ein lokaler TV-Kanal strahlte die Szenen aus. Ein paar Tage später erkannte ein Polizist den Täter wieder – Jonathan Dubois. Er ist längst wieder auf freiem Fuß; eine Verhandlung in der Causa folgt im September. Susie Neighbors fährt weiter mit dem Rad in den Fitnessclub. Ihr Bike sperrt sie nun in einen sicheren Käfig.

Fakten

Etwa 2700 Fahrräderim Wert von zwei Millionen Dollar wurden 2014 in der 600.000 Einwohner zählenden Stadt gestohlen, berichtete Polizeichef Larry O'Dea im März.
Zum Vergleich: In Wien (1,8 Mio. Einwohner) waren es im Vorjahr 9431.

Bike Theft Task Force
Zwei (!) Polizisten kämpfen seit März 2015 in Portland gegen Fahrraddiebe an. Sie schulen Kollegen, pflegen Kontakt zur Bike Community und halten nach Diebesgut Ausschau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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