Amoklauf: „Gut. Gleich wirst du Gott treffen“

Keine Woche ohne Massenschießerei: Die Kleinstadt Roseburg in Oregon trauert um die neun Todesopfer eines Amokschützen.
Keine Woche ohne Massenschießerei: Die Kleinstadt Roseburg in Oregon trauert um die neun Todesopfer eines Amokschützen.AFP
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Ein 26-Jähriger erschoss neun Menschen und verletzte sieben. Fast jeden Tag passiert so etwas in den USA. Präsident Obama ist zornig, aber politisch machtlos.

Washington. Am Donnerstagvormittag betrat der 26-jährige Chris Harper Mercer einen Lehrsaal des Umpqua Community College im US-Teilstaat Oregon, in dem gerade eine Lehrveranstaltung über das öffentliche Reden stattfand. Mit einer kugelsicheren Weste bekleidet und ausgerüstet mit einem Sturmgewehr, drei Handfeuerwaffen sowie einer Menge Munition, begann er zu schießen. Wer konnte, warf sich auf den Boden und stellte sich tot. Der Vater der überlebenden Studentin Ana Boylan berichtete, was in dem Saal geschah. „Er fragte, welcher Religion man angehöre. Wenn die Antwort ,christlich‘ lautete, sagte er: ,Gut. Gleich wirst du Gott treffen.‘ Und dann schoss er ihnen in den Kopf.“ Mehrere andere Überlebende bestätigten diese Folge der Ereignisse. Mercer tötete neun Menschen und verletzte sieben weitere.

Isolierter Militärfanatiker

Was den Täter antrieb, ist fürs Erste unklar. Mercer starb bei einem Schusswechsel mit Polizeibeamten. Ob er erschossen wurde oder sich selbst umbrachte, ist ebenfalls noch unbekannt. Bekannt ist derzeit nur, dass er in England geboren wurde, als Kleinkind mit seinem Vater in die USA auswanderte und ziemlich einsam war. Seine Halbschwester, die in Kalifornien lebt, erklärte gegenüber CBS News, sie habe ihren Bruder zuletzt vor einem Jahr gesehen. Sie beschrieb ihn als liebenswürdig und stets um seine Mitmenschen besorgt.

Doch ehemalige Nachbarn Mercers, sowohl in Kalifornien als auch an seinem letzten Wohnort in Oregon, zeichnen ein anderes Bild von ihm. „Ich sah ihn und seine Mutter damals in seine Wohnung zurückkommen, mit etwas, was wie ein Waffenkoffer aussah“, sagt ein namentlich nicht genannter einstiger Nachbar ebenfalls zu CBS. „Er trug stets khakifarbene Armeehosen und große Militärstiefel“, erinnerte sich eine andere Nachbarin. Mercer dürfte weder eine Freundin, eine Arbeit noch engere Freunde gehabt haben. „Er hat meinen Mann und mich ständig angeschrien, wenn wir auf unserem Balkon rauchten“, sagte die 21-jährige Bronte Hart zur „New York Times“. „Er war stets unfreundlich, wollte mit niemandem etwas zu tun haben.“ Mercer suchte im Internet auf mehreren Dating-Portalen nach einer Partnerin, er beschrieb sich als Anhänger der Republikaner und nicht religiös.

Dieses Attentat, das rund 290 Kilometer südlich der bekannten Metropole Portland stattfand, ist eine der schwersten Massenschießereien der jüngeren Vergangenheit. Ein Einzelfall ist es jedoch nicht. Die Betreiber der Website www.shootingtracker.com notieren sämtliche Schussattentate, bei denen mindestens vier Menschen getötet oder verwundet wurden. Das Jahr 2015 hatte bisher 275 Tage: An diesen haben die USA 294 solcher Massaker erlebt. Die Bundespolizei FBI legt an den Begriff „Massenschießerei“ zwar ein engeres Maß an und qualifiziert als solche nur jene, bei denen mindestens vier Menschen sterben. Das Bild ist jedoch so oder so eindeutig: Amerikas Gesellschaft ist schwer bewaffnet, im Durchschnitt kommt auf jeden Erwachsenen und jedes Kind eine Schusswaffe, und die Vorschriften, um ihren Erwerb und ihr öffentliches Tragen zu kontrollieren, sind wirkungslos.

Das musste auch Präsident Barack Obama einsehen. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit versuchte er unter dem Eindruck des Massakers in der Volksschule von Sandy Hook im Teilstaat Connecticut, bei dem 20 Kinder und sechs Betreuerinnen ermordet wurden, durchzusetzen, dass vor jedem Waffenkauf der Hintergrund jedes Erwerbers auf etwaige psychische Störungen oder Vorstrafen geprüft wird. Dies scheiterte wenige Monate später – auch, weil selbst einige demokratische Senatoren zu sehr von der finanziellen und propagandistischen Unterstützung durch die Waffenlobby NRA abhängig sind.

„Wir sind taub geworden“

„Wir sind nicht das einzige Land auf der Welt, das Menschen mit Geisteskrankheiten hat, die anderen Leid antun wollen“, sagte Obama am Donnerstag sichtlich erzürnt im Weißen Haus. „Aber wir sind das einzige fortgeschrittene Land auf der Welt, das solche Massenschießereien alle paar Wochen sieht. Das ist Routine geworden: Die Berichterstattung darüber ist Routine geworden, meine Reaktion darauf, hier, auf diesem Podium. Wir sind taub geworden.“

Anmerkung der Redaktion:

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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