Brasilien: Der Absturz Dilma Rousseffs

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Zustimmungsraten der Präsidentin liegen unter zehn Prozent. Jetzt leitet ein Wahlgericht auch noch Ermittlungen gegen Rousseff ein.

Buenos Aires/Brasilia. Dilma Rousseff hat ein Problem mehr am Hals. In einer überraschenden 5:2-Entscheidung sprach sich das oberste Wahlgericht dafür aus, Ermittlungen gegen Brasiliens Präsidentin und gegen ihren Vize, Michel Temer, einzuleiten. Die Richter befanden, dass genügend Hinweise darauf vorlägen, dass Gelder aus dem gigantischen Schmiergeldschema um den Staatskonzern Petrobras in die Finanzierung des Wahlkampfes 2014 geflossen seien.

Die durch Klagen der größten Oppositionspartei PSDB angestoßenen Ermittlungen könnten zur Annullierung der Wahlen führen, die Rousseff knapp gegen den PSDB-Kandidaten Aécio Neves gewonnen hatte. Allerdings ist damit zu rechnen, dass sich die Ermittlungen über Monate, wenn nicht Jahre hinziehen können. Eine unmittelbare Auswirkung ist also nicht zu erwarten.

Dennoch wird der Richterspruch allgemein als ein neuer Stein in den Schuhen der Amtschefin gesehen, die schon vor dem Dienstag fürchterlich drückten. Die Zustimmungswerte für die Amtsführung der Ex-Guerillera liegen seit Monaten unter zehn Prozent. Zur Wut ihrer alten Gegner aus der Mittel- und Oberschicht kommt zunehmend auch der Frust der Stammwähler der Arbeiterpartei. Es sind die Armen und die neue und oftmals prekäre untere Mittelklasse, die unter der Wirtschaftskrise am meisten leiden.

Tief in der Rezession

Der Weltwährungsfonds veröffentlichte am Rande seiner Jahressitzung im peruanischen Lima die Prognose, dass Brasiliens Wirtschaft heuer um drei Prozent schrumpfen wird. Die Inflationsrate liegt trotzdem bei fast neun Prozent, denn importierte Waren treiben die Preise, nachdem die Landeswährung Real gegenüber dem Dollar auf die Hälfte des Vorjahreswertes abstürzte. Auch für das kommende Jahr rechnen Unternehmer und Analysten mit einer Fortsetzung der Rezession.

Dass Brasilien, weltbekannt als Heimat des unerschütterlichen Optimismus nun das Lächeln gefriert, hat vor allem mit der politischen Ungewissheit zu tun. Seit Beginn ihres zweiten Mandats – und der radikalen Wende zu einem Sparkurs – bekommt Rousseff das Parlament nicht unter Kontrolle. Mehr als ein Viertel der Kongressabgeordneten hat Probleme mit der Justiz. Der Parlamentspräsident Eduardo Cunha, Mitglied von Rousseffs Koalitionspartner PMDB, ist de facto ihr mächtigster Gegenspieler und zieht die Strippen für eine vorzeitige Amtsenthebung Rousseffs. Um die Parlamentarier gnädiger zu stimmen, willigte Rousseff vorige Woche ein, ihr Kabinett umzubilden. Dabei zog sie mehrere PT-Minister ab und gab Ämter an die Koalitionspartner.

Gleichzeitig sperrten Schweizer Behörden mehrere Bankkonten des Parlamentsvorsitzenden Cunha. Der fromme Evangelikale hatte stets betont, zu Unrecht von der Justiz behelligt zu werden. Ein Boss eines Baukonzerns hatte im Rahmen des Petrobras-Skandals ausgesagt, Cunha mit fünf Millionen Dollar geschmiert zu haben, um an einen Petrobras-Auftrag zu kommen.

Die Schwächung ihres Gegenspielers wäre zumindest eine positive Nachricht für die Präsidentin. Denn die Entscheidung, ob Rousseff ihr Amt behalten kann, wird im Kongress fallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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