Sklavin der japanischen Armee

Die Koreanerin Yi Ok-seon war 14, als sie im Zweiten Weltkrieg von Japans Militär zur Prostitution gezwungen wurde. Sie wartet immer noch auf eine aufrichtige Entschuldigung.

Vor dem Haus mit den hellgrauen Kacheln trocknen in der warmen Herbstsonne Chilis. Es ist still hier draußen, etwa eine Autostunde von Südkoreas quirliger Hauptstadt Seoul entfernt. Vögel zwitschern, Blätter rauschen. Hügel mit dichten Laubwäldern, Tomatenfelder und Bauernhäuser umringen das Gebäude mit den großen Fenstern. Sieben ältere Damen werden im Haus versorgt, die jüngste von ihnen ist 87 Jahre alt.

Das durch private Spenden finanzierte House of Sharing ist kein normales Altersheim. Die Frauen, die hier wohnen, teilen die Last einer Jugend voller Qual und Grauen: Sie waren als junge Mädchen vom japanischen Militär als Sexsklavinnen missbraucht worden. „Trostfrauen“ lautet der fragwürdige Euphemismus für die etwa 200.000 Mädchen und Frauen, die japanische Soldaten zwischen 1931 und 1945 in eigens eingerichteten Kriegsbordellen vergewaltigten. Die Opfer stammten aus von Japan besetzten Gebieten. Die meisten waren Koreanerinnen.

So auch Yi Ok-seon. Die zierliche 88-Jährige mit feinem weißen Haar wohnt seit 15 Jahren im House of Sharing. Die Wände ihres kleinen Zimmers sind mit Fotos tapeziert. Erinnerungen an glückliche Momente: Reisen, Feste, Freunde. Yi setzt sich mühsam aufs Bett, ihre Beine schmerzen. „Meine Geschichte ist schrecklich“, warnt sie. Sie blickt zu Boden, spricht leise weiter. „Ich war 14, als sie mich entführten.“

Damals arbeitete sie als Dienstmädchen in Ulsan. Am 29. Juli 1942 erledigte sie gerade in der Stadt einige Einkäufe. Auf der Straße stülpten ihr plötzlich zwei Männer einen Sack über den Kopf. Yi schrie, wehrte sich. Sie wurde gefesselt, in einen Wagen geworfen. Lange Stunden dauerte die Fahrt. Das Ziel: ein Arbeitslager am Flughafen der chinesischen Stadt Yanji unweit der koreanischen Grenze. Es folgten Monate harter Arbeit in der Kälte, täglich wurde sie geschlagen. Eines Tages zerrte ein japanischer Soldat das ausgehungerte Mädchen aus dem Camp. Gemeinsam mit anderen Kindern brachte er sie zu einem Bordell. Ein Beutel mit Kleidern wurde ihr vor die Füße geworfen. An die Worte des Soldaten erinnert sich Yi genau: „Das musst du zurückzahlen.“

Yi trinkt einen Schluck Wasser, streicht sich mit zittrigen Händen über die Augen. Sie wirkt müde. „Wir waren doch nur Kinder. Wir waren ahnungslos. Wir brauchten unsere Mütter“, sagt sie traurig. Dann zwingt sie sich, weiterzuerzählen. „Wir bekamen japanische Namen. Das hat mir geholfen: Das war nicht ich. Das war ihre Welt.“

Dutzende Soldaten vergewaltigten sie jeden Tag, am Wochenende waren es noch mehr. Nur eine Mahlzeit pro Tag erhielten die Kinder, dünne Suppe und etwas Mais. „Da waren Mädchen, die waren noch jünger als ich: zehn, elf, zwölf, dreizehn Jahre alt. Es war kaum möglich, das zu überleben. Das war Mord.“ Viele starben an den Folgen der Folter. Oder begingen Selbstmord.

Ärzte kontrollierten die Zwangsprostituierten regelmäßig auf sexuelle Krankheiten. Kranke Mädchen wurden erschossen. Ziel der Lager war, „Soldaten vor Infizierungen zu schützen und Vergewaltigungen in besetzten Gebieten zu verhindern“, bezeugt ein Dokument aus der Zeit. Yi überlebte. Sie zeigt auf ihre Narben: Schnittwunden an Bauch, Armen und Händen. „Das waren die Japaner“, sagt sie hart.

Nach dem Krieg wollte sie nicht nach Korea zurück. „Ich schämte mich.“ Sie blieb in China, heiratete, kümmerte sich um den Sohn ihres Mannes. Sie selbst konnte keine Kinder mehr bekommen. Über die Vergangenheit sprach Yi nie. Ebenso wenig wie die meisten „Trostfrauen“: „Ihr Schicksal galt als Schande“, erklärt Ahn Shin Kwon, Leiter des House of Sharing. Krank und traumatisiert kehrten sie heim, aber Rückhalt fanden sie keinen.

Erst 1991 wurde das Tabu gebrochen: Eine ehemalige „Trostfrau“ ging mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit, weitere folgten. Yi hörte davon und kehrte nach Seoul zurück: Sie erzählte. Solange ihre Gesundheit es erlaubte, nahm sie an den Mittwochsdemos vor der japanischen Botschaft teil: Jede Woche protestieren dort Betroffene und Unterstützer, sie fordern Entschuldigungen, Entschädigungen. Ihr Symbol ist die Statue eines jungen Mädchens. Sie steht vor dem Eingang der Botschaft.


Japan bleibt stur.
Bisher blieb der Protest ungehört. Tokio entschuldigte sich zwar 1993 und zahlte in einen privaten „Fonds für Trostfrauen“ ein, offizielle Entschädigung gab es keine: Die Opfer verweigerten das Geld. Sehr vage Schuldbekenntnisse und halbherzige Entschuldigungen folgten. Revisionisten innerhalb der japanischen Regierungspartei nehmen heute noch die damalige Militärregierung aus der Schuld. Enttäuscht hat Premier Shinzo Abe: Bei seiner Rede zum 70. Jahrestag des Kriegsendes erwähnte er die „Trostfrauen“ nur indirekt. Die Vergangenheit belastet das Verhältnis zwischen Tokio und Seoul, unter Südkoreanern zählt Japan zu den unbeliebtesten Ländern. Argwöhnisch verfolgt man die aktuelle vorsichtige Annäherung: In Seoul wollen sich am Montag erstmals Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye und Abe allein treffen. Park will über „Trostfrauen“ sprechen.

Ahn erzählt von den vielen Japanern, die das House of Sharing und das dortige Museum besuchen. „Das Problem ist die Regierung, nicht die Menschen.“ Seoul müsse den Druck erhöhen, die Zeit dränge: „Die Frauen wollen vor ihrem Tod ein aufrichtiges Schuldbekenntnis hören. Das wird ihnen ihre Würde zurückgeben.“

Fakten

»Trostfrauen«.
Geschätzte 200.000 Mädchen und Frauen (einige Historiker gehen gar von 300.000 aus) wurden von 1931 (japanische Invasion der Mandschurei) bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 vom japanischen Militär zur Prostitution gezwungen.


Besatzung.
Die Opfer wurden in Kriegsbordellen festgehalten, die sich im gesamten von Japan besetzten Gebiet Asiens befanden. Die Frauen und Mädchen stammten alle aus den eroberten Territorien. Die meisten Opfer kamen aus Korea.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2015)

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