Flugzeug-Absturz: Die Sicherheitslücken in Sharm el-Sheikh

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EGYPT-TOURISM(c) APA/AFP/KHALED DESOUKI (KHALED DESOUKI)
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Großbritannien und die USA gehen von einem Terroranschlag auf den russischen Ferienflug 9268 aus. Nun wurden alle westeuropäischen Flüge storniert. Kairo schäumt.

Kairo. Im Rückblick waren sich viele Flugreisende einig. „Sharm el-Sheikh ist das schlimmste Chaos, das ich bisher gesehen habe“, urteilte eine ehemalige Stewardess, die privat zum Badeurlaub hier war. Frühmorgens um vier oder fünf Uhr, als auch die russische Unglücksmaschine abgefertigt wurde, mussten Touristen ägyptische Sicherheitsleute schon einmal bei einem Nickerchen stören, damit diese das Handgepäck kontrollierten. Oder die Feriengäste beobachteten Uniformierte hinter den Scannerschirmen, die seelenruhig in Handygespräche vertieft waren.

Schlecht bezahlt, schlecht motiviert – die Leute sind vor allem daran interessiert, von den Touristen ein Trinkgeld zu ergattern, berichteten andere. „Kontrollen sehr lax“, twitterte ein Brite, der kurz vor dem Unglücksflug von Sharm el-Sheikh nach Hause flog. Er habe seinen Koffer selbst zum Frachtraum des Flugzeugs tragen müssen, weil kein Bodenpersonal da war. Als unzureichend qualifizieren Sicherheitsexperten des amerikanischen Thinktanks Stratfor Kontrollen auf dem Ferienflughafen am Roten Meer.

Abgehörte Telefonate

Der spektakuläre Alarmruf des britischen Außenministers erreichte die Urlauber in den Ferienressorts auf dem Sinai am späten Mittwochabend. Es bestehe eine „signifikante Wahrscheinlichkeit“, dass an Bord des russischen Urlauberflugzeugs, das am Samstag über dem Sinai abgestürzt war, eine Bombe gewesen sei, sagte Philip Hammond nach einer Sitzung von Cobra, dem nationalen Krisengremium, bei dem Premier David Cameron den Vorsitz hat. Cameron erklärte, ein Anschlag sei wahrscheinlicher, „als dass es keiner war“. Auch US-Geheimdienstler nannten gegenüber dem Sender CBS eine Bombe an Bord „höchst wahrscheinlich“.

Er habe „ein eindeutiges Gefühl, dass es ein Sprengkörper war, der im Gepäck oder anderswo im Flugzeug versteckt wurde“, zitierte CNN einen Vertreter der US-Regierung. Experten berufen sich auf abgehörte Telefonate. Ein US-Aufklärungssatellit zeichnete zum Zeitpunkt des Unglücks einen Explosionsblitz auf. Der Flugschreiber wurde inzwischen ausgelesen, der Stimmenrekorder im Cockpit ist stark beschädigt. Bisher drang aus der Unfallkommission, der Experten aus Ägypten, Russland, Frankreich, Deutschland und Irland angehören, lediglich nach draußen, dass die aufgezeichneten Flugdaten schlagartig abbrechen und auf dem Band in den Sekundenbruchteilen des Absturzes ein „ungewöhnliches Geräusch“ zu hören sei.

Ägyptens Außenminister protestiert

Ägypten und Russland reagierten auf die britischen Bombenwarnungen überrascht und verärgert. Das seien alles Spekulationen, ließ der Kreml erklären und bezeichnete das Vorgehen Londons als politisch motiviert. Ägyptens Außenminister, Sameh Shoukry, geißelte die Schlussfolgerungen als „voreilig und ungerechtfertigt“ und kritisierte, sein Land sei vorab nicht konsultiert worden. Luftfahrtminister Hossam Kamal versicherte in Kairo, es gebe bisher keine Beweise für einen Terroranschlag. Die Sicherheitsprozeduren auf ägyptischen Flughäfen entsprächen internationalem Standard. Den Verdacht, Ägypten könne bei Metroflug 9268 etwas vertuschen, wies er von sich. Man lege entschiedenen Wert darauf, dass die Untersuchung akkurat und integer verlaufe. Alle Fakten würden offengelegt, um die Sicherheit der globalen Luftfahrt zu garantieren. Ägyptens Präsident, Abdel Fatah al-Sisi, begann derweil - überschattet vom Sinai-Unglück – einen dreitägigen Staatsbesuch in England, der auf der britischen Insel politisch umstritten ist.

Bereits am Donnerstag schickten London und Moskau eigene Sicherheitsteams nach Sharm el-Sheikh, eine Misstrauensgeste gegenüber Ägypten. Stunden später war der ägyptische Sicherheitschef des Flughafens entlassen. Sollte sich ein terroristischer Bombenanschlag an Bord des russischen Airbus A-321 der Chartergesellschaft Kogalymavia bewahrheiten, muss es auf dem Rollfeld einen Mittäter gegeben haben. Und Terroristen konnten einen Schläfer in das Bodenpersonal einschmuggeln, der den Sprengsatz in einem der aufgegebenen Koffer deponierte oder im Laderaum versteckte.

Sollte sich der akute Verdacht als richtig erweisen, könnte das für Ägyptens fragilen Tourismus und die Stabilität des Landes unabsehbare Folgen haben. Praktisch alle europäischen Flüge nach Sharm el-Sheikh wurden bis 12. November storniert. Mehr als 20.000 gestrandete Urlauber werden mit Sondermaschinen heimgeflogen. Lediglich Urlauberflugzeuge aus Russland, der Ukraine und den Golfstaaten landeten auch am Donnerstag.

AUF EINEN BLICK

224 Menschen sind beim Absturz des Airbus A-321 am Samstag über dem Nordsinai ums Leben gekommen. Der Kontakt mit dem Urlauberflugzeug der russischen Chartergesellschaft Kogalymavia war gut 20 Minuten nach dem Start im ägyptischen Badeort Sharm el-Sheikh abgebrochen. An Bord des Flugs mit Ziel St. Petersburg waren überwiegend russische Touristen. Die russischen und ägyptischen Behörden gingen zunächst von einem technischen Defekt aus, während der ägyptische Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) behauptete, das Flugzeug abgeschossen zu haben. Nun deutet vieles auf einen Bombenanschlag hin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2015)

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