Brasilien: Der langsame Tod des Rio Doce

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BRAZIL-ENVIRONMENT-MARCH(c) APA/AFP/CHRISTOPHE SIMON (CHRISTOPHE SIMON)
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Lange versuchten die Behörden das größte Umweltdesaster in der Geschichte des Landes zu verschleiern. Giftiger Klärschlamm verseucht den Rio Doce. Zwei Millionen Menschen haben kein Trinkwasser mehr.

Die Katastrophe kam ungelegen. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, die, verschanzt in ihrem Regierungspalast, täglich versuchen muss, den Giftpfeilen der Opposition auszuweichen, einer Amtsenthebung zu entgehen und das seit Monaten fertig verpackte Sparpaket irgendwie durch den Kongress zu schleusen, hatte Anfang November keine Muße für einen Dammbruch, der ein Dorf begrub. Als die Präsidentin eine Woche später dann doch im Hubschrauber über das Tal des Rio Doce flog, konnte sie unter sich beobachten, wie rotbrauner Schlamm die dereinst grünlichen Wasser des wichtigsten Flusses des Bundesstaates Minas Gerais umfärbte. Und sie musste zur Kenntnis nehmen, dass sich unter ihrem Fluggerät das wohl folgenschwerste Umweltdesaster in Brasiliens Geschichte ausbreitete. Auch wenn das anfänglich niemand eingestehen wollte.

Inzwischen ist die dickflüssige Brühe im atlantischen Ozean angekommen. Luftaufnahmen zeigen, wie sich die Sedimente im Meerwasser verteilen. Hunderte Kilometer Verwüstung, noch kann niemand abschätzen, wie lange es dauern wird, bis sich das Ökosystem des Rio Doce wieder erholt und welche Kosten bis dahin anfallen.

Seinen Ausgang nahm das Desaster in den Bergen des Bundesstaates Minas Gerais. Am Nachmittag des 5. November brach der Damm eines Rückhaltebeckens eines Eisenerzabbaus des Konzerns Samarco. 62 Millionen Kubikmeter Klärschlamm ergossen sich zunächst in ein zweites Rückhaltebecken und begruben schließlich das talabwärts gelegene Dorf Bento Rodrigues. Alle 600 Bewohner verloren ihr Hab und Gut, zwölf Personen starben, weitere elf Menschen werden noch vermisst unter dem Schlamm, der, so behauptete es die Leitung des Minenkonzerns, nicht toxisch sei.

Doch der Rio Doce erzählt eine andere Version. Vögel und Kleintiere treiben tot in den Fluten, neun Tonnen verendete Fische wurden gesammelt. Der Fluss, der mehr als zwei Millionen Menschen Trinkwasserquelle war, ist nur noch ein Ausguss lebloser Schlacke. Hunderttausende Bürger müssen ihr Wasser nun aus Tankwagen bekommen. Die Behauptung des Konzerns, es sei kein Gift freigesetzt worden, ist seit Mittwoch amtlich widerlegt. Da stellten die Behörden von Minas Gerais Ergebnisse von Wasserproben online, die ergaben, dass die Werte des Giftes Arsen zehnmal höher waren als der gesetzliche Grenzwert. In anderen Messungen waren die Werte von Quecksilber, Zink, Aluminium und Blei erhöht. Warum klärten die Behörden die Bürger nicht früher auf?

Die Methoden der Bergbau-Lobby

Die Antwort mag mit der misslichen Situation zu tun haben, in der sich Brasilien derzeit befindet. Das Land steckt in der Rezession, drei Prozent wird die Wirtschaft dieses Jahr schrumpfen, die Arbeitslosigkeit steigt, die Inflation auch. Zu Korruptionsskandalen und politischen Intrigen kommt das Ende des Rohstoffbooms, der die Weltmarktpreise für Mineralien fallen ließ. Das Unternehmen Samarco, ein Joint-Venture des brasilianischen Erzgiganten Vale und des britisch-australischen Konzerns BHP Billigton war lange hoch profitabel, allein 2014 machte die Firma knapp 700 Millionen Euro Gewinn. Doch nur drei Prozent davon wurden in Sicherheit und Umweltschutz investiert.

Um fallende Erlöse zu kompensieren ließ die Firmenleitung offenbar die Produktion im vorigen Jahr um 40 Prozent steigern, weshalb auch deutlich mehr Abraum anfiel. Schließlich brach der Damm, der vor zwei Jahren erhöht worden war. Das Unternehmen spricht von Unglück – allein schon aus juristischen Motiven. Samarco hat der Provinzregierung zugesagt, umgerechnet etwa 250 Mio. Euro für die Schadensbehebung zu überweisen.

Brasiliens Konzerne müssen sich um das Wohlwollen der Behörden nicht sorgen, sie können es ganz legal erkaufen. Samarcos brasilianischer Mutterkonzern Vale ist der größte Erzerzeuger der Welt und ein Big Spender im brasilianischen Politikbetrieb, 20 Millionen Euro verteilte der Minenriese im Wahljahr 2014 unter Präsidentschaftsbewerbern, Gouverneuren, Senatoren und hunderten Abgeordneten. Im Parlament in Brasilia kann sich die Bergbauindustrie auf etwa 200 Parlamentarier verlassen, nur die Agro-Fraktion ist stärker. Derzeit versuchen beide Einflussgruppen eine Verfassungsänderung durchzusetzen, welche die Bodenrechte der indigenen Völker massiv beschneiden würde.

Nun, wo die braune Brühe auch die letzten Reste von Rousseffs Prestige ins Meer zu schwemmen droht, hat die Präsidentin endlich Klartext gesprochen: „Der Rio Doce ist tot.“ Sie berief eine Kommission ein, die strengere Umweltauflagen für den Bergbau entwerfen soll. Außerdem fordert die Umweltministerin Isabelle Teixeira vom Konzern Samarco fünf Milliarden Euro Strafe, die in einen Fluss-Fonds fließen sollen. Die Zahlungen sollen bis 2025 überwiesen werden. Was die Ministerin nicht kundtat: Bisher wurden 97 Prozent aller Strafgelder ihrer Behörde von den Firmen nicht bezahlt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

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