Chinas Hauptstadt versinkt in giftigem Nebel

BEIJING CHINA DECEMBER 01 CHINA OUT Visitors play in Temple of Heaven even with heavy smog on
BEIJING CHINA DECEMBER 01 CHINA OUT Visitors play in Temple of Heaven even with heavy smog on(c) imago/China Foto Press (imago stock&people)
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Peking will beim Klimaschutz vorpreschen – aus Eigeninteresse: Kaum ein Land ist so sehr von Smog geplagt.

Peking. Es ist weiß, eiförmig, etwas größer als ein Tennisball und mit einer digitalen Anzeige ausgestattet, die an jeder Stelle, wo es aufgestellt wird, die Luftverschmutzung anzeigt. In der Küche zeigt das Gerät in diesen Tagen einen PM-2,5-Wert von 267 an. Im Badezimmer sind es 326. Im Schlafzimmer dröhnt der Luftreiniger auf höchster Stufe. Und trotzdem fällt der Wert nicht unter die 200-Marke. Dann wird ein Spaltbreit das Fenster geöffnet: 608. Die Anzeige auf dem Ei blinkt rot: „Hazardous“ – gefährlich. Bei diesen Werten handelt es sich um die Mengenangabe von winzigen Partikeln pro Kubikmeter Luft, die einen Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometer haben, in der Luft herumschwirren, über die Atemwege in die Blutbahn geraten und Krebs auslösen können.

Die Weltgesundheitsorganisation hält einen Wert von unter 25 Mikrogramm für unbedenklich. Die Menschen in Peking atmen in diesen Tagen fast das 25-Fache davon ein. Seit Tagen hüllt eine dichte Smogdecke Chinas Hauptstadt ein. Gelbliche Nebelschleier schränken die Sicht auf unter zehn Metern ein. Schulen und Kindergärten stoppten Freiluftaktivitäten.

Tausende Fabriken mussten ihre Pforten schließen. Erstmals in diesem Winter riefen die Behörden die zweithöchste Alarmstufe Orange aus. Kinder und alte Leute sollen wegen der hohen Schadstoffe nicht mehr vor die Tür gehen.

Nicht nur Peking ist von dieser hochgiftigen Decke betroffen. Der dichte Smog bedeckt in Nordchina derzeit eine Fläche, die größer als Frankreich und Deutschland zusammen ist und mehr Einwohner zählt als ganz Europa. Wer es sich leisten kann, hat teure Luftreiniger bei sich zu Hause stehen. Wer trotzdem ins Freie muss, trägt eine Atemmaske. Und trotzdem schmerzt der Hals, die Augen tränen und der Kopf dröhnt. Im Internet wird eine Ärztin zitiert, die davon abrät, in diesen Tagen an die gesundheitlichen Langzeitfolgen zu denken. „Das verstärkt die Kopfschmerzen nur.“

Regime investiert in grüne Energie

Umso mehr blicken in diesen Tagen die Chinesen auf den Klimagipfel in Paris. Seit Wochen sind die Medien voll von Berichten über die Auswirkungen des enormen Ausstoß von Kohlendioxid auf Luft und Klima. Anders als vor sechs Jahren in Kopenhagen hat die chinesische Führung im Vorfeld versprochen, nicht als große Bremserin bei den Klimaverhandlungen aufzutreten, sondern als Hoffnungsträgerin. „China, der weltgrößte Emittent von klimaschädlichem CO2 hat eingesehen, dass es so nicht mehr weitergeht“, schreibt die in Hongkong erscheinende Zeitung „South China Morning Post“.

Die gewaltigen Mengen an Kohle, die China tagtäglich verbrennt, tragen nicht nur zur Luftverschmutzung bei, sondern zur Erderwärmung insgesamt – längst auch mit unmittelbaren Folgen in China. Im Norden und Westen des Landes fressen sich die Geröllwüsten immer tiefer ins einst fruchtbare Kernland hinein. Im Süden des Landes kommt es im Sommer regelmäßig zu verheerenden Wirbelstürmen und Überschwemmungen. Auf dem Klima-Risiko-Index der Umweltorganisation Germanwatch belegt die Volksrepublik einen Platz ganz vorn.

Diese Katastrophen haben das Land wachgerüttelt. Tatsächlich investiert derzeit kein Land mehr in grüne Energien als China. Haben die Chinesen viele Jahre lang Solarzellen vor allem für den Rest der Welt hergestellt, verkaufen die chinesischen Firmen das meiste im eigenen Land. Im vergangenen Jahr hat China so viele Solar- und Windkraftanlagen errichtet wie der Rest der Welt zusammen. Entwickelt sich ausgerechnet der größte Klimasünder zum Vorreiter beim Klimaschutz? In Zahlen schon. Gefühlt aber nicht. Trotz aller Anstrengungen gehen selbst die größten Optimisten davon aus, dass es dem bevölkerungsreichsten Land der Welt allenfalls gelingen wird, den Kohleverbrauch um etwa drei Prozent im Jahr zu senken.

Bei Smogwerten von über 600 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft wie sie das Mess-Ei nun misst, heißt das: Klare und smogfreie Wintertage werden in Peking auch in den nächsten Jahren rar bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2015)

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