NSU-Morde: Zschäpe nennt sich "moralisch schuldig"

Beate Zschäpe im Gerichtssaal.
Beate Zschäpe im Gerichtssaal.APA/AFP/POOL/MICHAEL DALDER
  • Drucken

Der Anwalt der Terrorverdächtigen hat die Aussage vor Gericht verlesen. Zschäpe will weder an den zwölf Delikten beteiligt gewesen, noch der Terrororganisation angehört haben. Der Prozess wurde auf Dienstag vertagt.

Die mutmaßliche deutsche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe hat sich bei den Opfern der Terrorgruppe NSU entschuldigt. Die Schuld für die Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" trügen allerdings ihre Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, hieß es in einer Erklärung, die am Mittwoch von ihren Anwalt Mathias Grasel im Münchner NSU-Prozess verlesen wurde.

Zschäpe gab sich in ihrer Erklärung lediglich eine moralische Mitverantwortung. "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte", ließ Zschäpe erklären. "Ich weise den Vorwurf der Anklage, ich sei ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens NSU gewesen, zurück." Der Name NSU sei alleine eine Erfindung von Uwe Mundlos gewesen, allenfalls könne noch Uwe Böhnhardt der Gruppe zugeordnet werden.

Die Terrorverdächtige bestritt, an den zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen zu sein, die die Bundesanwaltschaft der Terrorgruppe vorwirft. "Ich war weder an den Vorbereitungshandlungen noch an der Tatausführung beteiligt", heißt es in Zschäpes Aussage, die ihr Anwalt Grasel am Mittwoch verlas.

Von den Taten der beiden anderen mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe habe sie erst später erfahren, aber nicht die Kraft gehabt, sich zu stellen, erklärte ihr Anwalt in der vor dem Oberlandesgericht München verlesenen Text: "Die Kraft mich zu trennen (...) und mich der Justiz zu stellen hatte ich jedoch nicht."

Anklage: Mord und Sprengstoffanschläge

Am Mittwoch hat die Terrorverdächtige ihr mehr als zweieinhalbjähriges Schweigen im NSU-Prozess gebrochen. Zschäpe musste sich vor dem Oberlandesgericht München als Mittäterin an samtlichen NSU-Verbrechen verantworten. Seit Prozessbeginn im Mai 2013 hat sie beharrlich geschwiegen. Die Sicherheitsbehörden waren der erst 2011 aufgeflogenen rechtsextremen Vereinigung jahrelang nicht auf die Spur gekommen. Mundlos und Böhnhardt sind beide nicht mehr am Leben.

Zu den Hauptanklagepunkten der Bundesanwaltschaft zählen Banküberfälle mit Sprengmaterial, die die rechtsextreme Terrorgruppe seit 1998 verübt hat, ein Sprengstoffanschlag auf ein iranisches Lebensmittelgeschäft in Köln im Jahr 2001 sowie zehn Morde zwischen 2000 und 2007 - dabei kamen neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin ums Leben.

Mit 19 in rechtsradikale Szene abgerutscht

Zu Beginn ihrer Erklärung erinnerte Zschäpe, die 1975 in Jena zur Welt kam, an ihre Kindheit in der damaligen DDR und über ihre Beziehung zu den beiden Kameraden. Sie berichtete auch von Alkoholproblemen und Streitigkeiten mit ihrer Mutter. Von der Mutter habe sie so gut wie kein Geld bekommen, so dass sie sich an kleineren Diebstählen habe beteiligten müssen.

An ihrem 19. Geburtstag habe sie ihren späteren Komplizen Böhnhardt kennengelernt. Sie habe sich in ihn verliebt, sei aber noch mit Mundlos zusammen gewesen. Kurz nach Mundlos' Wehrdienst hätten sie sich getrennt. Anschließend sei sie eine Beziehung mit Böhnhardt eingegangen. So sei sie stärker in Kontakt zu Böhnhardts Freunden gekommen, die nationalistischer eingestellt gewesen seien als die von Mundlos.

"Brutale und willkürliche Aktion"

Aus ihrer Sicht habe es sich etwa bei einem Bombenanschlag in Köln um eine "brutale und willkürliche Aktion gehandelt". Vom Bau der Bombe habe sie nichts mitbekommen. Sie habe damals resigniert und keine Chance mehr gesehen, ins bürgerliche Leben zurückzukehren: "Die beiden brauchten mich nicht. Ich brauchte sie."

Details wurden auch zum Tod einer Polizistin in Heilbronn bekannt. Damit klärte sich erstmals auch das Motiv für den Mord auf. Mundlos und Böhnhardt sollen die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet haben, um deren Pistole stehlen zu können hieß es in der Aussage.

Verteidiger Grasel hat angekündigt, dass Zschäpe auch Fragen beantworten will - aber nur des Gerichts, und nur schriftlich und erst später. Konkret hat er den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl um einen schriftlichen Fragenkatalog gebeten. Den will er mit Zschäpe durcharbeiten und dann antworten. Ob das Gericht damit einverstanden ist, ist noch offen. Zschäpe solle prüfen, ob sie einen Teil der Fragen nicht auch direkt beantworten könne, meinte der vorsitzende Richter Vorerst wurde Prozess einmal bis kommenden Dienstag vertagt.

Besucherandrang im Münchner Gericht

Die mit Spannung erwartete Aussage Zschäpes sorgte Mittwochfrüh jedenfalls für einen großen Zuschauerandrang. Bereits Stunden vor Beginn der Verhandlung am Mittwoch warteten die ersten Besucher am Mittwochmorgen vor dem Eingang des Oberlandesgerichts in München. Es bildete sich eine Schlange von rund 150 Wartenden.

Die Erklärung der Deutschen war eigentlich schon vor vier Wochen geplant gewesen. Ein Befangenheitsantrag des Mitangeklagten Ralf Wohlleben machte den Zeitplan aber zunichte, mehrere Prozesstage fielen aus. Anschließend verzögerte sich die Aussage, weil ein Anwalt Zschäpes im Urlaub war: Hermann Borchert, ein Kanzleikollege von Grasel.

(APA/dpa/red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Weltjournal

Zschäpe-Aussage im NSU-Prozess verschoben

Das Verfahren gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin wurde unterbrochen.
Der 40-Jährigen Zschäpe droht lebenslange Haft.
Außenpolitik

NSU-Prozess: Zschäpe will Schweigen brechen

Die Hauptangeklagte im Prozess um die deutsche Terrorgruppe soll am Mittwoch aussagen. Sie gilt als einzige Überlebende des "Nationalsozialistischen Untergrunds".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.